Archiv der Kategorie: Germanistik

„Wir sind verloren und verzweifelt genug“

Paul Celan und Ingeborg Bachmann gelten als tragisches Liebespaar der Literaturgeschichte. In dramatischen Wellen flammte ihre Liebe auf und nieder, entfachte sich bei ihrem ersten Zusammenkommen im Winter 1948 und brannte loh bis in den Winter 1950, als sich das Paar zum ersten Mal – und scheinbar für immer – trennte. Sieben Jahre Ruhe folgen, Funkstille zwischen einer der bedeutendsten Nachkriegslyrikerinnen Österreich und dem bedeutendsten Lyriker Nachkriegsdeutschlands.

Wiedersehen 1952 bei der Gruppe 47, die berühmte Lesung, nach der das einzige überlieferte Foto des Paares entstand. „Unrettbar verloren“ sei „das Andere“, die Liebe, schrieb Celan noch zwei Monate zuvor. Ein Abschiedsbrief unter vielen.

Dann, im Oktober 1957, nehmen beide an einer Tagung zur Literaturkritik in Wuppertal teil, es kommt zum Wiedersehen und einer Liebesnacht in einem kleinen Hotel. Für Celan, mittlerweile verheiratet und Vater, ließ diese eine Nacht die Liebe zu Bachmann auflodern, als seien die sieben Jahre Trennung nie geschehen. Nachdem die Literaturwissenschaft lange über die Fehlstelle in den Briefen beider Lyriker gerätselt hatte, sind jetzt in Klagenfurt zwei einzelne Briefe aus der Feder Celans aufgetaucht, die den Zustand des Dichters, seine Verwirrung und seine grenzenlose Liebe beschreiben.

„Du bist überall in meinen Gedichten, Ingeborg, auch da, wo Du nicht zu sein scheinst.“ Den Einfluss der Beziehung auf das dichterische Werk ist kaum von der Hand zu weisen und vielfach thematisiert worden. Die Briefe Celans offenbaren nun, in welch rauschhaftem Zustand der Verliebtheit und Verwirrung sich Celan befunden haben muss. „Willst du, daß ich Ende November zu Dir komm? Oder früher? Oder später?“ heißt es an einer Stelle. Celan war bereit, Frau und Kind für Ingeborg Bachmann zurückzulassen. Zu viel für sie, die zu dem Entschluss kommt: „Du darfst sie und Euer Kind nicht verlassen.“

Celans Eifer kreist vor allem um ihn selbst. Immer wieder ist von Gedichten die Rede, fast ausschließlich von seinen. Bachmann solle lesen, die Spuren finden, die sie in seinem Werk hinterlassen habe. Mehrere Male schickte er in dieser Zeit Depeschen mit neuen Gedichten an die Geliebte. Und doch: Auch er liest ihre Texte, zitiert die Widmung vor den Liedern auf der Flucht und erwähnt sein Exemplar der Anrufung des Großen Bären.

Zugleich fragt er: „Wenn ich nun zu Dir käme, für immer oder auch nur für eine Weile (und auch diese Weile ist ein Immer), was geschähe da mit Deinen Gedichten?“, als würde er in bereits vorwegnehmen, dass Ingeborg Bachmann nach der endgültigen Trennung bis zu ihrem Tod 1973 kein Gedicht mehr schreiben würde.


Tagung: Literatur des Mittelalters im Fantasyroman

Der Grenzwall zwischen im Feuilleton diskutierter Höhenkammliteratur und tatsächlich gelesener Trivialliteratur ist in den letzten Jahren – sehr zu recht – ordentlich geschliffen worden. Ihren Beitrag dazu geleistet hat nicht nur die „Demokratisierung“ des Diskurses über Literatur durch die vielfältigen Literaturblogs im Netz, sondern auch die Popularität ehemals trivialer Genres. Während jede deutsche Kleinstadt mittlerweile mindestens einen literarischen Mordermittler hat und das Bild Skandinaviens mittlerweile das eine düster-psychotischen Mörderlandes sein müsste, brachte Hollywood die epische und fantastische Literatur auf die Leindwand und damit in den „Mainstream“. Der Herr der Ringe, Der Hobbit, Die Tribute von Panem, Das Lied von Eis und Feuer … die Liste ließe sich fortsetzen.

Insofern scheint es nur konsequent, dass sich auch die Literaturwissenschaft verstärkt den populären Genres widmet. An der Universität Siegen wird am kommenden Wochenende (7. bis 9. April) eine hochinteressante Tagung zum Thema „Die Literatur des Mittelalters im Fantasyroman“ stattfinden. Dabei sollen explizit nicht Fehler bei Iny Lorentz nachgewiesen werden, sondern Parallelen zwischen mittelalterlicher Erzählkunst und heutiger Fantasyliteratur gezogen werden. Das umfangreiche Programm reicht von J.R.R. Tolkien über das Nibelungenlied bis George R.R. Martin und sucht nach Erzählstrukturen und und Handlungsmustern über Gattungs- und Epochengrenzen hinweg.

Die Literatur des Mittelalters im Fantasyroman. Formen einer populären Rezeption
Siegen, 7.-9. April 2016
Adolf-Reichwein-Str. 2, AR-X 104
Veranstalter und Kontakt:
Nathanael Busch / Hans Rudolf Velten


Montagskaffee #29

Guten Tag.

Morgen startet die 16. lit.Cologne mit einem reichhaltigen Programm von 192 Veranstaltungen an zwölf Tagen, von denen die spannendste – die Lesung mit Orhan Pamuk – leider schon vor dem eigentlichen Festival am 18. Februar stattgefunden hat. Ist das jetzt ein neues Ding, wirklich gute Programmpunkte schon vor dem eigentlichen Event stattfinden zu lassen? Begrüßenswert ist es jedenfalls nicht. Zum Glück stehen bis zum 19. März noch 191 Veranstaltungen rund um die Literatur offen, für ein paar davon wird es vermutlich auch noch Karten geben. Absurd-komisch-spannend wird am 16. März sicher der Abend mit Helge Schneider und Rammstein-Keyboarder Flake Lorenz, die unter der Moderation von Knut Elstermann ihre jeweiligen Bücher Orang Utan Klaus und Der Tastenficker – An was ich mich so erinnern kann vorstellen.

Lesern und anderen Bloggern sei die Sendung der Literaturagenten auf RadioEins vom 28. Februar ans Herz gelegt, in dem die Moderatoren Gesa Ufer und Marion Brasch nicht nur über diverse Bücher plaudern, sondern auch Kollegin Sophie Weigand (von Literaturen.net) zu Wort kommen lassen. Sophie spricht über das Bloggen an und für sich, übt sich charmant in Untertreibungen und stellt den neuen Preis für das beste Debüt des Jahres vor – juriert und vergeben von Literaturbloggern (mehr dazu bei Das Debüt). Jetzt könnte man ausrufen: Was? Noch ein Preis?, und normalerweise halte ich selbst auch nicht viel von der Willkürlichkeit der meisten etablierten Literaturpreise, doch könnte dieser ein guter Schritt sein, die leidige Kluft zwischen vermeintlicher Hochkultur im Feuilleton und den „Hobbylesern“ der Blogosphäre vielleicht noch nicht zu schließen, aber doch erheblich zu verengen. Mich interessiert daran vor allem der partizipative Ansatz, wonach sich Literaturblogger als Jurymitglied bewerben und aktiv wählen können. Die Wahl wird also nicht wie üblich von einer Handvoll älterer Herren (und zunehmend auch Damen) im Hinterzimmer getroffen, sondern von einer (hoffentlich) umfangreichen Gemeinschaft. Verliehen wird der Preis im Frühjahr kommenden Jahres.

Apropos Preise: Natürlich steht auch die Leipziger Buchmesse und deren Preisverleihung an. Der Vollständigkeit halber seien hier die Autoren der Shortlist erwähnt: Marion Poschmann: Geliehene Landschaften (Lyrik), Heinz Strunk: Der goldene Handschuh (Roman), Guntram Vesper: Frohburg (Roman), Roland Schimmelpfennig: An einem klaren, eiskalten Januarmorgen zu Beginn des 21. Jahrhunderts (Roman) und Nis-Momme Stockmann: Der Fuchs (Roman). Mehr über die einzelnen Autoren und ihre Bücher gibt es kurz zusammengefasst unter anderem bei MDR Figaro. Den Trend zur Epik im Titel finde ich übrigens auch nicht besonders hilfreich. Ja, Sie sind gemeint, Herr Witzel.


Ottos Mops hopst online

Unter dem etwas kryptischen Link http://jandl.onb.ac.at/ ist ab sofort das Projekt „Ernst Jandl Online“ erreichbar. Auf der eingänglich und ansehnlich gestalteten Webseite, die sich als „Biblio-Biographie“ versteht, hat Vanessa Hannesschläger unter Beteiligung des Ludwig Boltzmann Instituts für Geschichte und Theorie der Biographie und des Literaturarchivs der Österreichischen Nationalbibliothek die bislang umfassendste Sammlung zum Leben und Werk des österreichischen Lyrikers versammelt. Hannesschläger meint, „Ernst Jandl Online“ präsentiere das jandelsche Gesamtwerk „dem digitalen Raum entsprechend in seine ‚Pixel‘ zersplittert“ und überlasse es dem Nutzer, diese Puzzleteile zu einem sinnvollen Bild zusammenzubauen. Jandl hätte wohl seine Freude daran.

Dabei gelingt es dem Projekt, nicht nur Bibliographie zu sein, sondern ein Netzwerk zu knüpfen zwischen Jandels Quellen und Metainformationen wie Erscheinungsorten, beteiligten Personen oder Sekundärliteratur. Zwischen den einzelnen Ebenen kann fließend gewechselt werden, Enthusiasten und Forscher werden daran gleichermaßen Freude und Nutzen finden. Eine besondere Perle sind dabei sicher die als Scans zu betrachtenden Manuskripte und Typoscripte aus Jandls Nachlass, die als „Bio-Bibliographien“ aus der Hand Jandls selbst das Projekt nicht nur um eine dritte Ebene nach Bio- und Bibliographie ergänzen, sondern auch einen spannenden Einblick in das Selbstbild des Autors bieten.

Otto: Hopp, hopp!


Zum Tod von Thomas Becker

Die Universität Bamberg – und mit ihr Alumni, Kollegen und Germanisten – trauert um Prof. Dr. Thomas Becker, der am 31. August völllig unerwartet verstarb. Mit Thomas Becker verliert die Universität einen geschätzten, beliebten, renommierten und kompetenten Kollegen und Dozenten. Seit 2003 war Becker als Nachfolger von Rolf Bergmann in Bamberg Professor am Lehrstuhl für deutsche Sprachwissenschaft. Seine Kollegin Prof. Dr. Stefanie Stricker ehrt ihn in einem Nachruf auf den Seiten der Universität Bamberg.