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Re: Montagskaffee

Es ist vollbracht.

Nun, zumindest sind die meisten Bücher ausgepackt und nur noch einige wenige Kartons übrig. Wie sich herausgestellt hat, braucht man immer ein Regal mehr als zuvor, insbesondere wenn man zwei Hausstände und damit auch zwei Büchersammlungen zusammenlegt. Immerhin ist wieder Zeit für Lektüre und damit auch Zeit für die Seite Zwei.

Der geneigte Leser (ja, alle beide) darf an dieser Stelle also zukünftig wieder Beiträge erwarten, auch wenn sich an Häufigkeit und Regelmäßigkeit wohl nichts ändern wird. Es bringt einfach wenig, einen Zeitplan zu versprechen, der dann letztlich doch nicht eingehalten wird. So ist doch der freudige Überraschungseffekt viel größer, nicht wahr?

Immerhin gibt es einige für meine Verhältnisse doch fundamentale Veränderungen, über die zu gegebener Zeit gesprochen werden wird. Technologie!

Bis dahin sei auf meinen Twitter-Account verwiesen, auf dem ich neben dem üblichen Gebrabbel als Quasi-Ersatz für das Blog in den vergangenen Tagen einige Kafka-Schnipsel verstreut habe.


Montagskaffee #32

Guten Tag.

Uff. Buchmesse. Frankfurt. Mittwoch bis Sonntag. Niederlande. Bücher. Menschenmassen. Buchpreis. Ach ja. Buchpreise. Heute wird in Frankfurt schon einmal vorab, sozusagen zum Vorglühen auf die Messe, der Deutsche Buchpreis verliehen. Buchhändler im Land planen schon einmal nervös die Umdekoration der Schaufenster und wappnen sich für die plötzliche Flut an Literaturexperten. Und die Seite Zwei? Gibt sich uninteressiert. Meinungen zum Preis gibt es wie Sand am Meer, auf den Schönen Seiten auch einen launigen Blick hinter die Kulissen und in den gängigen Leitmedien die entsprechenden Lang- und Kurzlisten. Wie stehen denn die Wetten für heute Abend? Manchmal glaube ich, dass die Preisverleihungen in England, dem Land in dem man auf praktisch alles wettet, einfach spannender wären. Apropos Ausland: Sophie Weigand hat sich die Mühe gemacht, mal die Wirkung des Buchpreises im Ausland zu ergründen und ist zu einer recht nüchternen Erkenntnis gekommen: Schon wichtig, aber längst kein Freifahrtschein für Massenerfolg. Hilft aber durchaus bei der Vermarktung.

Das ist er doch letztlich oder nicht? Ein Vermarktungsinstrument. Schon klar, dass Autoren sich über das Preisgeld freuen, würde ich ja auch. Aber der ganze Hype? Die Hysterie? Die endlosen Debatten über berechtigt oder unberechtigt verliehene Preise, Auswahlkriterien, Zusammensetzung von Jurys …? Die Preise sind immer mehr oder minder willkürlich. Angesichts der schieren Menge an Publikationen, allein auf dem deutschen Buchmarkt, kann kein Preis der Welt für sich beanspruchen, alles geprüft und wirklich eine objektive Auswahl getroffen zu haben. Dank der großartigen Debattenkultur, die uns die Freiheit des Netzes eingebracht hat, wird ohnehin nahezu jede Entscheidung binnen Minuten angezweifelt und zum Politikum erhoben. Juroren haben es mittlerweile auch nicht mehr leicht, immerhin müssen sie nun nicht mehr nur die Qualität bewerten sondern auch noch darauf achten, ob der Preisträger nicht womöglich gar nur eine „politische Entscheidung“ gewesen sein könnte oder irgendwessen Befindlichkeiten verletzt. Dann lieber mal auf Nummer sicher gehen und einen Musiker auszeichnen. Den kennt wenigstens jeder.

Apropos, man kommt ja doch nicht vorbei am Elefant im Raum. Die Nobelpreise sind natürlich von den Problemen nicht ausgenommen, sondern leiden womöglich am meisten. Der Friedensnobelpreis macht es ja ganz entzückend vor und ist seit einigen Jahren eher eine absurde weltpolitische Farce. Den bekommen ja jetzt kriegführende Staatsoberhäupter und Wirtschaftsvereinigungen. Dass in diesem Jahr die Friedensbemühungen des kolumbianischen Präsidenten ausgezeichnet wurden, der sich zwar endlich mit der FARC geeinigt hat, dessen Bevölkerung aber offenbar nichts vom Frieden hält, ist ein historischer Treppenwitz mit Ansage. Hoffen wir mal, dass der Literaturnobelpreis diesen Weg vermeiden kann. Vielleicht sollte man nächstes Jahr mal eine Ausnahme machen, den Preis gleich dutzendfach vergeben und all jene Autoren auszeichnen, die ihn in den letzten Jahren schon „endlich mal verdient“ hatten? Ich wäre ja dafür, und im Anschluss kann man 2018 eine neue Seite aufschlagen. Oder das Buch gleich zugeklappt lassen.


Montagskaffee #31

Guten Tag.

Heute geht es mal um Statistiken. Big Data ist ja das neue Ding und auch in der Verlags- und Buchbranche sucht man akribisch nach Möglichkeiten, aus Papier Daten zu gewinnen. Was mit kollektiven Anmerkungen im Kindle begann (gibt es die eigentlich noch?), mündet mittlerweile in Diensten wie Jellybooks, die kostenfreie E-Books anbieten und dafür fleißig wie die Eichhörnchen Nutzerdaten sammeln und an die Verlage weitergeben. Nun haben sich Jodie Archer und Matthew L. Jockers an das große Geheimnis der Buchbranche gewagt und einen Algorithmus entwickelt, der helfen soll, potenzielle Bestseller zu entdecken. Aus den Bestsellern der vergangenen 30 Jahre haben Archer und Jockers 2.799 Eigenschaften herausgesucht, die bei Bestsellern gehäuft auftreten. Starke weibliche Protagonisten, wenig Sex, eher Hunde als Katzen und so weiter. Sofort wird natürlich beteuert, damit nicht den Lektor abschaffen, sondern ihm nur ein neues Handwerkszeug zur Seite zu geben. Der Kulturpessimist in mir wittert aber eine neue Gleichförmigkeit der ganz „großen“ Erfolgsromane. Heitere Ironie: Des Algorithmus liebster Roman ist Dave Eggers‘ The Circle.

Keinen Algorithmus, aber gute alte Statistik hat Miriam von schiefgelesen bemüht, um die Cover deutscher Romane im internationalen Vergleich zu betrachten. Herausgekommen ist eine illustre Sammlung mit teilweise überraschenden Varianten. Geht man davon aus, dass das Cover eines Buches bereits einen ersten Eindruck seines Inhalts geben kann, könnte man bei manchem Beispiel völlig unterschiedliche Romane erwarten. Spannend fände ich auch mal einen ausführlichen Vergleich der Titel-Übersetzungen, da leisten sich deutsche Verlage bei Übersetzungen ja gelegentlich den einen oder anderen Griff ins Klo. Ich jedenfalls versuche, mich nicht allzu sehr vom Cover eines Romans beeinflussen zu lassen, oft herrscht da ja ein beeindruckender Konformismus immer gleicher Motive (einsame Bank am See, abwesend schauende Dame im historischen Kostüm, merkwürdig verlassen wirkende Stühle, Vogelschwärme …). Interessant daher der Ansatz einiger Buchhandlungen zu „Blind Dates“, etwa bei Elizabeth’s Bookshop im australischen Newtown, wo ausgewählte Bücher in Packpapier gepackt und von den Mitarbeitern nur mit einigen Schlagworten versehen verkauft werden. Überraschung!

Zeit zu Lesen gibt es ja jetzt genug, denn ganz grundsätzlich soll der Sommer ja jetzt vorbei sein, wenn man glauben mag, was man sich so auf der Straße erzählt. Den Bücherfreund freut es, was braucht es schon mehr als Bücher und  Kaffee … ganz ohne große Daten.

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Montagskaffee #30

Guten Tag.

“If you go home with somebody, and they don’t have books, don’t fuck ‚em!” John Waters hat das legendär-lakonisch zusammengefasst, und auch die Deutschen scheinen sich diesen Rat zu Herzen zu nehmen. Dies zumindest suggerieren die Ergebnisse einer Umfrage der Initiative „Vorsicht Buch!“. Die hat nämlich herausgefunden, dass 27,5 Prozent der Befragten über 14 Jahre im ersten unbeobachteten Moment in einer fremden Wohnung das Bücherregal inspizieren. Zeig mir deine Bücher und ich sage dir, wer du bist. Interessant: Der Trend ist besonders stark bei den 30- bis 39-Jährigen (32,7 Prozent!) und bei Gästen aus dem Saarland (31,7 Prozent) und Schleswig-Holstein (31,4 Prozent). Gewarnt sei indes vor Gästen aus Hamburg, 4,5 Prozent von denen scheuen sich nicht davor, auch mal einen Blick in geschlossene Schubladen zu werfen.

Der deutsche Penguin Verlag hat vor Kurzem sein erstes Programm für 2016/17 veröffentlicht und bietet in Taschenbuch und Broschur „Masse und Klasse“ gleichermaßen, also das Beste aus Literatur und Unterhaltung, populärem Wissen, Humor und anspruchsvollem Sachbuch. Das zumindest verkündet Verlagschef Thomas Rathnow in der eigens aufgezeichneten Videobotschaft. Dass ein Verlagschef selbst das Programm kurz vorstellt, ist zumindest einmal ungewöhnlich, die Art und Weise – nunja – zumindest gut gemeint. Modern und jung will man sich geben bei Penguin (und parallel Homer und Harper Lee verkaufen), aber so richtig locker-flockig kommt das noch nicht rüber. Die Mitten-im-Satz-Pause mit dem kleinen Pinguin muss man mir auch noch einmal erklären. Also lieber Herr Rathnow, bitte die Idee beibehalten! Vielleicht ist es beim nächsten Mal schon etwas spritziger!

Apropos locker-flockig. Wer für das Wochenende noch kurzentschlossen eine Beschäftigung sucht, der kann sich ja nach Temeswar begeben. Dort veranstalten die Forschungsplattform Elfriede Jelinek und das Elfriede Jelinek-Forschungszentrum am 9. und 10. Juni 2016 ein interdisziplinäres Symposium am Deutschen Staatstheater unter dem Titel „SCHREIBEN ALS WIDERSTAND. Elfriede Jelinek & Herta Müller“. Dabei sollen – als dritter Teil einer mehrteiligen Veranstaltungsreihe – nun die öffentlichen politischen Positionierungen von Jelinek und Müller und aktuelle Inszenierungen von Werken beider Autorinnen thematisiert werden.

 


Montagskaffee #29

Guten Tag.

Morgen startet die 16. lit.Cologne mit einem reichhaltigen Programm von 192 Veranstaltungen an zwölf Tagen, von denen die spannendste – die Lesung mit Orhan Pamuk – leider schon vor dem eigentlichen Festival am 18. Februar stattgefunden hat. Ist das jetzt ein neues Ding, wirklich gute Programmpunkte schon vor dem eigentlichen Event stattfinden zu lassen? Begrüßenswert ist es jedenfalls nicht. Zum Glück stehen bis zum 19. März noch 191 Veranstaltungen rund um die Literatur offen, für ein paar davon wird es vermutlich auch noch Karten geben. Absurd-komisch-spannend wird am 16. März sicher der Abend mit Helge Schneider und Rammstein-Keyboarder Flake Lorenz, die unter der Moderation von Knut Elstermann ihre jeweiligen Bücher Orang Utan Klaus und Der Tastenficker – An was ich mich so erinnern kann vorstellen.

Lesern und anderen Bloggern sei die Sendung der Literaturagenten auf RadioEins vom 28. Februar ans Herz gelegt, in dem die Moderatoren Gesa Ufer und Marion Brasch nicht nur über diverse Bücher plaudern, sondern auch Kollegin Sophie Weigand (von Literaturen.net) zu Wort kommen lassen. Sophie spricht über das Bloggen an und für sich, übt sich charmant in Untertreibungen und stellt den neuen Preis für das beste Debüt des Jahres vor – juriert und vergeben von Literaturbloggern (mehr dazu bei Das Debüt). Jetzt könnte man ausrufen: Was? Noch ein Preis?, und normalerweise halte ich selbst auch nicht viel von der Willkürlichkeit der meisten etablierten Literaturpreise, doch könnte dieser ein guter Schritt sein, die leidige Kluft zwischen vermeintlicher Hochkultur im Feuilleton und den „Hobbylesern“ der Blogosphäre vielleicht noch nicht zu schließen, aber doch erheblich zu verengen. Mich interessiert daran vor allem der partizipative Ansatz, wonach sich Literaturblogger als Jurymitglied bewerben und aktiv wählen können. Die Wahl wird also nicht wie üblich von einer Handvoll älterer Herren (und zunehmend auch Damen) im Hinterzimmer getroffen, sondern von einer (hoffentlich) umfangreichen Gemeinschaft. Verliehen wird der Preis im Frühjahr kommenden Jahres.

Apropos Preise: Natürlich steht auch die Leipziger Buchmesse und deren Preisverleihung an. Der Vollständigkeit halber seien hier die Autoren der Shortlist erwähnt: Marion Poschmann: Geliehene Landschaften (Lyrik), Heinz Strunk: Der goldene Handschuh (Roman), Guntram Vesper: Frohburg (Roman), Roland Schimmelpfennig: An einem klaren, eiskalten Januarmorgen zu Beginn des 21. Jahrhunderts (Roman) und Nis-Momme Stockmann: Der Fuchs (Roman). Mehr über die einzelnen Autoren und ihre Bücher gibt es kurz zusammengefasst unter anderem bei MDR Figaro. Den Trend zur Epik im Titel finde ich übrigens auch nicht besonders hilfreich. Ja, Sie sind gemeint, Herr Witzel.


Montagskaffee #28

Guten Morgen.

Navid Kermani erhält den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und selten war ich mit einer Preisvergabe so einverstanden. Navid Kermani, Autor, Intellektueller, Orientalist und Muslim, versteht es, die vermeintlichen Grenzen zwischen Glaubensgemeinschaften und Atheisten, zwischen der deutschen Kultur, dem Grundgesetz und westlichen Werten einerseits und orientalischer Mystik und dem Glaubensverständnis des Islam auf der anderen Seite zu vermitteln. Diese Vielschichtigkeit zeigt sich auch in seinen brillanten Reden, sei es die Rede zum 65. Jubiläum des Grundgesetzes oder sein Auftritt auf der Anti-Kögida-Demonstration im Herbst vergangenen Jahres, wo er alle Kölnerinnen und Kölner zu Toleranz und Miteinander, aber auch zu Reflexion und Nachdenken aufrief. Ganz gleich, ob sie an Gott oder den FC, oder wie in seinem Falle „Gott und den FC“ glaubten. Auch in seiner Frankfurter Rede anlässlich der Friedenspreisverleihung wies Kermani auf die Widersprüche zwischen einer demonstrativen Willkommenskultur in Deutschland und dem internationalen Desinteresse am Morden in Syrien und dem Irak hin. Der größte Fehler der internationalen Gemeinschaft sei es, so wenig gegen den „Massenmord vor unserer europäischen Haustür“ zu unternehmen.

Gleichzeitig betonte Kermani, dass er allen entschieden widersprechen müsse, die sich mit der Argumentation, die Gewalt habe nichts mit dem Islam zu tun, billig aus der Affäre ziehen wollten. Wie schon in Köln vor einem Jahr betonte er auch in Frankfurt, dass sich der Islam selbst mit der zunehmenden Gewalt und Radikalisierung auseinandersetzen müsse. Es reiche nicht, die Gewalt als unislamisch bei Seite zu schieben. Zwar hätten die „maßgeblichen theologischen Autoritäten“ der islamischen Welt die Ansprüche des IS widerlegt und aufgezeigt, wie dessen Praktiken den Lehren des Islam widersprächen, doch würden sich in der muslimischen Welt weiterhin staatliche Autoritäten auf den Koran berufen, „wenn sie das eigene Volk unterdrücken, Frauen benachteiligen, Andersdenkende, Andersgläubige, anders Lebende verfolgen, vertreiben, massakrieren“. Der Islam befinde sich in einem Kampf mit sich selbst und sei dabei, seine eigene tolerante Tradition mehr und mehr abzuschaffen. Die Liebe zu sich selbst und damit die Liebe der Muslime zum Islam, dürfe sich nicht im Schwärmerischen äußern, sondern in der Selbstkritik. Das Schwärmerische laufe Gefahr, zu schnell in Selbstlob, Narzissmus und Selbstgefälligkeit zu verfallen. „Wer als Muslim nicht mit ihm hadert, nicht an ihm zweifelt, nicht ihn kritisch befragt, der liebt den Islam nicht.“ Eine Einstellung, die übertragbar ist auch auf unsere Gesellschaft, ihr Werteverständnis und ihre Geschichte.

Zuletzt noch Neuigkeiten aus Bamberg: Rainer Lewandowski hat nach 26 Jahren die Intendanz des Bamberger E.T.A.-Hoffmann-Theaters niedergelegt. Auf ihn folgt die zuvor in Bonn tätige Sibylle Broll-Pape, die sich gleich mit vollem Elan und großen Ambitionen in die neue Spielzeit gestürzt hat. Öffnung zum Publikum, 14 neue Stücke, darunter fünf Uraufführungen – ein stattliches Programm für ihre erste Spielzeit. Die erste Uraufführung, das Stück Rechtes Denken von Konstantin Küspert scheint zumindest schon einmal gut anzukommen und liegt mit seiner Betrachtung rechter Ideologien, Verstrickungen und Verführungen mitten im aktuellen Diskurs.


Montagskaffee #27

Guten Morgen.

Die spanische Literaturwelt steht Kopf. Da hat man nicht nur pünktlich zu seinem 400-jährigen Geburtstag die Gebeine des Miguel de Cervantes endlich entdeckt und postwendend exhumiert und ausgestellt, jetzt debattiert man über eine sprachliche Modernisierung des großen Klassikers Don Quichotte de la Mancha. Man könne doch nicht! – klagen die einen. Man kann sehr wohl, meint Andrés Trapiello, der vor Kurzem eine eben solche modernisierte Fassung herausgebracht hat. Während es also im Theater gang und gäbe ist, Klassiker teilweise bis zur Unkenntlichkeit zu modernisieren, scheint es noch immer ein Skandal zu sein, sich an den originalen Text zu wenden. Doch wem nützt der verehrte Klassiker, wenn dessen Sprache so antiquiert ist, dass ihn kaum einer freiwillig lesen will? Immerhin 14 Jahre habe Trapiello damit verbracht, Sätze zu straffen und Vokabeln auszutauschen, damit der Don Quichotte wieder ohne Fußnoten gegen Windmühlen anrennen kann. Vermutlich hätte sich Trapiello keinen besseren Roman aussuchen können, um gegen die Veränderungsunlust der Hochkultur anzutreten.

Die FAZ und die Süddeutsche Zeitung setzen sich indes mit Salman Rushdies neuem Roman Zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Nächte auseinander. In diesem erzählt Rushdie die Geschichte des Ibn Ruschd, nach dessen Vorbild Rushdies Vater einst seinen Nachnamen änderte. Angesiedelt auf drei Zeitebenen vom Mittelalter über die nahe Zukunft in New York bis zu einer fernen Zukunft entspanne sich in Rushdies Roman ein „Kampf der Welten“ zwischen mystischen Wesen aus 1001 Nacht, resümiert die SZ. „Eine Gesamtentfesselung aller Medien des Wunderbaren und Fantastischen“ nennt die Zeitung den zwischen philosophischer Erzählung und Science-Fiction angelegten Roman. Für die FAZ hingegen ist der Roman „bloß verquere Mythen und Zahlenspielerei“, für die Rushdie „weder Lob noch Preis erwarten“ dürfe. Seine früheren Bücher allerdings verdienten „allerhöchste Ehre“, weshalb die FAZ zugleich fordert: „Gebt Salman Rushdie den Nobelpreis!“

Zu guter Letzt noch „was mit Medien“. Axel Springer hüpft derzeit ja mal wieder eifrig durch die Nachrichtenwelt. Also zumindest der nach ihm benannte Verlag und die entsprechend bedruckten Altpapierreste. Aus dem russischen Markt hat sich Springer nun zwar zurückgezogen, dafür werden ja Springer-Chef Mathias Döpfner und Neo-Hipster Kai Diekmann von der Bild nicht müde, die Bedeutung der Digitalisierung zu betonen – und wie geil doch die Aufstellung der Springer-Pamphlete online sei. Seit letzter Woche ist der Online-Kiosk „Blendle“ das neue Ding der Branche und kommt soweit auch ziemlich gut an. Nicht dabei ist allerdings: die Bild. Nun mag das für Blendle ein Gewinn sein, merkwürdig ist es aber schon, da Springer mit drei Millionen Euro an dem niederländischen Start-up beteiligt ist. Weshalb die Bild nicht dabei ist, erklärt Stefan Niggemeier in seinem Blog und versucht sich zugleich an einer Interpretation dessen, was herauskommt, wenn sich Bild-Chef Diekmann an Humor versucht. Der tl;dr ist übrigens: Bild wollte Extrawürste und Sonderbedingungen. Überraschung.


Montagskaffee #26

Guten Morgen.

Der musikalische Teil des NSK-Staats (früher Künstlerkollektiv „Neue Slowenische Kunst“), Laibach, hat es geschafft, als erste westliche Band überhaupt in der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngjang zu konzertieren. Damit ist den subversiven Musikern, die seit 1980 für anhaltende Irritation und Verwirrung bei eher eindimensionaleren Feuilletonisten stiften, ein Meisterstück gelungen. Wie die SZ treffend formuliert, war es ein Konzert der wohl provokativsten Band im wohl ironiefreisten Staat der Welt. Leider ist es wohl auch Teil dieser herrlich irrwitzigen Ironie, dass das Niemandem in Nordkorea aufgefallen ist. Laibach provoziert und verstört, der von der Band überzeichnet portraitierte dysfunktionale Totalitarismus sorgt hierzulande für Debatten und Faschismusvorwürfe, in Nordkorea aber trifft er auf sein gelebtes Konterpart. Wenn die slowenischen Musiker in Uniform zu martialischen Klängen nordkoreanische Volkslieder interpretieren, halten sie den anwesenden Parteisoldaten einen Spiegel vor, ohne dabei im Geringsten lustig sein zu wollen. Gerade weil die dargestellte Absurdität so sehr der nordkoreanischen Realität entspricht und die Partei selbst zu dieser verstörenden Einlage eingeladen hat, kann und darf niemand seine Empörung äußern. Von einem comic relief durch Lachen ganz zu schweigen. Für Laibach ist die Welt eine Bühne. Absolut.

Apropos nicht beabsichtige Komik: Wer noch vor einer Weile lakonisch kommentierte, eher veröffentliche Harper Lee eine Fortsetzung als George R.R. Martin, hatte ja kürzlich auch die Lacher auf seiner Seite. Auf weitere Überraschungshits von vor 50 Jahren müssen wir aber wohl verzichten, bei einer gründlichen Durchsuchung des ominösen Schließfaches der mittlerweile 89-jährigen Autorin sind keine weiteren unpublizierten Manuskripte entdeckt worden. Das zumindest meldet das Wall Street Journal. Neben dem originalen Typoskript von To Kill a Mockingbird enthalte das Depot einen früheren Entwurf des Romans als Typoskript und eine spätere, überarbeitete Version. Letztere dürfte zumindest aus editorischer Sicht hochinteressant sein. Aber wer weiß, schon die Entdeckung des Manuskripts von Go Set a Watchman war ja eher merkwürdig.

Zuletzt noch eine Personalie: Die Ufa springt auf einen aktuellen Trend auf und führt eine Doppelspitze ein, in die der bisherige Ufa-Fiction-Chef Nico Hofmann aufrückt. Zumindest bis September 2017 soll er jetzt zusammen mit dem bisherigen Allein-Chef Wolf Bauer an der Spitze stehen, dann werde dieser abtreten und sich nur noch als Produzent beteiligen. Die Produktionsfirma verkauft das als weise Personalpolitik angesichts digitaler Transformationsprozesse und auch die Presse und die Branche klammern sich an die Idee vom Wunderkind-Hofmann als „moderner König Midas“ (Berliner Zeitung) und Retter der „alten Tante Fernsehen“ (Handelsblatt). Trotzdem kann ich den Eindruck nicht abschütteln, dass hier der Junge vom Alten erst einmal an die Hand genommen wird, statt ihm einfach Vertrauen zu schenken und ihn mal machen zu lassen. Aber dem Fernsehen ist es ja schon immer schwer gefallen, mal auf ein anderes Pferd zu setzen, wenn das alte angefangen hat zu riechen.


Montagskaffee #25

Guten Morgen.

Will man in der modernen Gegenwart Ängste schüren, braucht es keine Gruselgestalten, sondern einfacher, jedoch möglichst kryptischer Abkürzungen, die so abstrakt gehalten sind, dass sich niemand etwas Konkretes dahinter vorstellen kann. So ist es dann ganz wunderbar möglich, diffuse Ängste auf bedrohliche Kürzel wie EHEC, H5N8, ACTA oder TTIP zu projizieren. Je weniger der Einzelne über das Phänomen hinter dem Akronym weiß, desto besser. Dass sich hinter letzterer Abkürzung die Transatlantic Trade Investor Partnership zwischen den USA und der EU verbirgt, ist mittlerweile bekannt; der Inhalt jedoch eher nicht. Die Diskussion ist stattdessen geprägt von dämonischen Chlorhühnchen und dem stets gern zitierten „Untergang des Abendlandes“. Indes, so problematisch die Intransparenz der bisherigen Verhandlungen war und so gefährlich eine mögliche Unterminierung des Rechtsstaates durch außerstaatliche Schiedsgerichte noch ist, so wenig vollständig „des Bösen“ ist das Abkommen auf der anderen Seite. Dies versucht auch Manuela Lück auf den Seiten der Kulturpolitischen Gesellschaft herauszustellen, wo sie sich mit den Auswirkungen von TTIP auf die Kultur beschäftigt.

Was auf dem stARTcamp in Münster begann, durch einen Artikel von Wolfgang Ullrich in der Zeit an die breite Öffentlichkeit gelangte, hat mittlerweile eine recht umfangreiche Debatte ausgelöst: die Frage nach der Banalisierung der Kunst durch die gegenwärtige Kunstvermittlung. Dass Ullrichs durchaus polemischer Beitrag eine solche Welle des Protests auslöst, könnte man als das Bellen der getroffenen Hunde interpretieren. Interessant ist es aber allemal und wichtig noch dazu, um die Blasenbildung zu vermeiden, die Christian Henner-Fehr in seinem Beitrag erwähnt. Die Diskussion überblickend hat sich Christian Henner-Fehr gleich noch einmal dem Thema gewidmet und in seiner Replik eher Fehler im System ausgemacht als ein generelles Scheitern der Kunstvermittlung. Ein interessanter Aspekt, der meiner Ansicht nach in die richtige Richtung geht. Für erfolgreiche Vermittlung darf es nicht bei der reinen „Dabei sein ist alles“-Haltung bleiben. Wenn Tweetups und der Web-2.0-Auftritt der Museen reiner Selbstzweck des Marketings sind, wird es in der Tat banal. Man merkt als Besucher recht schnell, wenn die Kuratoren mit der Werbung und Vermittlung nur wenig am Hut haben: Oft bleiben dann die Versuche substanzlos und oberflächlich, während die Inhalte der Ausstellungen durchaus tiefgründig und höchst anspruchsvoll sind. Damit soll keine Abflachung der Ausstellungsinhalte gefordert werden – sonst sind wir schnell wieder bei Ullrich – sondern eine frühzeitige Integration der Vermittlung in den Entstehungsprozess, wie es auch Christian Henner-Fehr anmerkt. Und mehr Akzeptanz seitens der Wissenschaftler für die Ziele der Vermittler und Vermarkter. Denn die Zeiten, in denen Museen reine Musentempel für das akademisch gebildete Bürgertum waren, sind wohl auch vorbei.


Montagskaffee #24

Guten Morgen.

Autor, Schauspieler, Regisseur, Fotograf und Komponist. Leonard Nimoy war Zeit seines Lebens ob seiner zahlreichen Aktivitäten eigentlich nur schwer auf eine Profession festzulegen. Und doch war es seine Rolle als Spock in Star Trek, die ihn zu einer filmischen Legende werden ließ. Am vergangenen Freitag ist Nimoy im Alter von 83 Jahren in Los Angeles verstorben. In der Rolle des einzelgängerischen und gelegentlich frustrierend logischen Vulkaniers fand Nimoy seine Paraderolle als integraler Part von Crew und Handlung, der doch stets isoliert und abseits blieb. Sein Verhältnis zur Rolle blieb ambivalent, wenngleich er wiederholt betonte, dass er, vor die Wahl gestellt, immer wieder Spock spielen würde. Den von ihn geprägten vulkanischen Grup hat er wahrhaftig umgesetzt: „Live long and prosper.“

„Kemal der Verrückte“ wurde er in seinem Heimatort genannt, weil ihn die Begeisterung über die Schönheit seiner Heimat immer wieder zu lautem Singen animierte. Das Singen wurde Kemal Sadık Gökçeli, der sich später nur noch Yaşar Kemal nannte, zum Naturell. Der wohl berühmteste und einflussreichste Dichter der Türkei verstarb am vergangenen Samstag. Seine Stimme wird nun fehlen, die er Zeit seines Lebens gegen die Unterdrückung und für die Meinungsfreiheit erhob. Mehrfach wurde er verhaftet, dabei gefoltert und war Todesdrohungen ausgesetzt, doch nichts davon konnte ihn abhalten, sich gegen die Missachtung der Menschenrechte in der Türkei und dabei auch für die Rechte der Kurden einzusetzen.

Auf dem Literaturportal Bayern ist das Programm der diesjährigen Coburger Literaturtage einzusehen, das mit Lesungen von Jan Weiler, Michael Köhlmeier und einem Sachbuchabend zu Kriminellen Energien in den Künsten mit Gudrun Schury und Rolf-Bernhard Essig aufwartet. Auftakt des Literaturfestivals ist am 18. April ein Lesemarathon, bei dem unter anderem Christoph Peters unterhaltsamer Roman Herr Yamashiro bevorzugt Kartoffeln zu hören sein wird. Ebenfalls lesen Sabine Kray und Kathrin Groß-Striffler.

Indes macht der Street-Art Künstler Banksy mit einer neuen Aktion in Gaza auf die humanitäre Situation der Menschen im Sperrgebiet aufmerksam. Neben einem mit zynischen Kommentaren unterlegten Video hat er erneut einige Grafitti-Kunstwerke in Gaza hinterlassen, die dem für ihn typischen Stil die Situation bissig, prägnant und dennoch verspielt kommentieren. Ein Beitrag in der taz sinniert auch darüber, dass wohl bereits Kunsthändler unterwegs ins Krisengebiet sind, um die „Banksys“ zu entwenden und gewinnbringend auf den Kunstmarkt zu bringen. Es gehört wohl zur Ironie der Kunst Banksys, dass seine Werke mittlerweile zu einer Art moderner Raubkunst geworden sind und so auf ihre Art die Perversion des zeitgenössischen Kunstkonsums hervorheben. Nur schade, dass die eigentlich brisante politische Botschaft hinter den sechsstelligen Auktionspreisen nur allzu oft verloren geht.