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„The madmen are in Power.“ Philip K. Dicks: „The Man in the High Castle“

„Perhaps if you know you are insane then you are not insane. Or you are becoming sane, finally. Waking up. I suppose only a few are aware of all this. Isolated persons here and there. But the broad masses … what do they think?“ (S. 44f.)

Was wäre, wenn …? Eine Frage, die in der Evolution existenzieller menschheitsgeschichtlicher Fragen wohl unmittelbar nach Quo vadis? und dem ganz grundsätzlichen Warum? entstanden ist.  Was wäre also, wenn der Krieg anders verlaufen wäre?

Die Welt des Jahres 1962 ist aufgeteilt zwischen den Siegermächten. Nach dem Sieg der Achsenmächte über die Alliierten ist die Welt gespalten in die vom Deutschen Reich besetzten Gebiete und das Großreich Japan. Eine demilitarisierte, neutrale Zone trennt das frühere Gebiet der USA in die von Deutschland besetzten Gebiete an der Ostküste und die Pazifischen Staaten von Amerika an der Westküste. Beide Mächte regieren mit eiserner Faust, die amerikanische Kultur ist praktisch vollständig unterdrückt und überlebt lediglich in der neutralen Pufferzone und als romantisiertes Sammelobjekt der japanischen Besatzer.

dick_castleInmitten des amerikanischen Besatzungsalltags kursiert ein begehrter Roman. Im Westen frei erhältlich, im Osten als illegale Bückware, schildert The Grasshopper Lies Heavy eine alternative, schockierende und fesselnde Zukunft, in der die Alliierten den Krieg gewonnen haben und die USA zur Weltmacht aufgestiegen sind. Zurückgezogen von der Welt hütet dessen Autor Hawthorne Abendsen das Geheimnis seiner Inspiration für den Roman und schützt sich in seinem angeblich festungsgleichen Domizil, dem „High Castle“, vor den Mordversuchen des deutschen Sicherheitsdienstes.

„It is not hubris, not pride; it is inflation of the ego to its ultimate – confusion between him who worships and that which is worshipped. Man has not eaten God; God has eaten man.“ (S. 46)

Im Gegensatz zur gleichnamigen Amazon-Serie unternimmt Dick im Roman nicht den Versuch, eine spannende Agentengeschichte zu erzählen. Vielmehr ist das zentrale Motiv das ständige Bestreben der Figuren, in einer als verschoben wahrgenommenen Welt zu überleben und sich den Gegebenheiten der Besatzung anzupassen, einen Platz in ihrer Welt zu finden. Die Orientierung bieten dabei zwei Bücher: Die alternative Realität des Grasshopper und das I Ching, welches als esoterisches Orakel die Geschicke der Menschen in der japanischen Besatzungszone bestimmt. Beide Bücher stehen dabei in einem entscheidenden Gegensatz. Währen Abendsens Zukunftsentwurf die Menschen zu konkretem Handeln aufruft, etwa den Mordversuchen deutscher Agenten oder das Bestreben der Yogalehrerin Juliana Frink, Abendsen sein Geheimnis zu entlocken, drängt das Orakel die Menschen zu Passivität und bietet lediglich mystifizierte Erklärungsversuche für das Geschehen.

Was Abendsen beschreibt, ist ein vermeintliches Utopia, in dem sich die Siegermächte zumindest vorerst um die Welt zu kümmern scheinen und statt kaltem Krieg und globalkapitalistischer Wirtschaft soziale Reformen vorantreiben. Doch Dick, als realer Autor, zeigt schon seinen Zeitgenossen, dass die realen Siegermächte an diesem Anspruch gescheitert sind und es zu diesem Utopia nie kommen wird. Selbst im pervertierten Gegenwartsentwurf der Romanhandlung trifft Kriegsveteran Joe Cinnadella mit seiner zynischen Prognose den Nagel auf den Kopf: „They’re both [die USA und Großbritannien] plutocracies, ruled by the rich. If they had won, all they’d have thought about was making more money, that upper class. Abendsen, he’s wrong; there would be no social reform, no welfare public works plans – the Anglo-Saxon plutocrats wouldn’t have permitted it.“ (S. 157)

Was Dick ebenfalls zeigt, ist kulturelle Unterdrückung in zwei Extremen. Auf der einen Seite die archaische Gewalttätigkeit der Nazis, mit ihrer gänzlich materialistischen Ideologie von Stärke, Blut und Rassenlehre – auf der anderen Seite der japanische Mystizismus, der vordergründig feinsinnige Glaube an Orakel, Ahnen und Vorhersagen. Und doch gleichen sich beide Systeme in ihrer Perfektionierung der Unterdrückung, ihrer Etablierung von Hierarchie und Rangordnung. Exemplarisch wird das an der reichen japanischen Oberschicht, die sich mit Amerikana umgibt und die amerikanische „Geschichte“ mit dem kuriosen Interesse eines Kolonialherrn studiert. „The American Way of Life“ existiert nur noch als Inszenierung. Trotz Steak und Kartoffelecken fühlt sich der Antiquitätenhändler Robert Childan bei seinen Kunden als Fremder im eigenen Land. Deutlich wird dies auch an der Sprache der Figuren, die sich mehr und mehr dem vereinfachten Englisch der Japaner angleicht, deren Idiom übernimmt und sich so auch sprachlich unterwirft.

Bei der Lektüre des Romans verflechten sich ganz von selbst drei Ebenen der Realität. Die des Lesers, die des Romans und jene der fiktiven Erzählung Abendsens. Philip K. Dick unternimmt dabei keinerlei Wertung und beschreibt keinen der Entwürfe als überlegen oder utopisch. Vielmehr lässt sich die Welt in allen Versionen trotz ihrer teils gravierenden Unterschiede wiedererkennen. Diese Unterschiede ergeben sich durch den Einfluss von Zufall, Unwirklichkeit und die wiederkehrende Frage nach der Authentizität der Realität: zentrale Elemente bei der Überlegung, was möglich gewesen wäre oder möglich sein könnte.

Die Überlegung, Was wäre passiert, wäre der Krieg anders ausgegangen?, war bereits in den 60er-Jahren müßig. Weder die Realität noch die beiden von Dick vorgestellten Alternativen konnten den Anspruch an eine ideale Gesellschaft erfüllen. Dick verdeutlicht, dass keine Welt perfekt ist und sich der Lauf der Geschichte zu keinem Zeitpunkt mit Präzision vorhersagen lässt. Und zugleich warnt Dick mit seiner verstörend präzise beobachteten Version davor, dass es immer schlimmer kommen kann. Gerade in Zeiten der aktuell aller Orten populären Regression in reaktionären Nationalismus ist The Man in the High Castle nicht nur ein verspieltes Was wäre, wenn? – Dicks Dystopie ist vielmehr eine deutliche Mahnung davor, was möglich wäre – oder zumindest, Was uns erspart geblieben ist.

Philip K. Dick: The Man in the High Castle
London: Penguin Essentials 2014
265 Seiten, Paperback
6,99 €

Der Roman ist in deutscher Übersetzung von Norbert Stöbe bei Fischer Taschenbuch unter dem Titel Das Orakel vom Berge erhältlich.


Penguins Papierladen in Puerto Rico

Während allerorten das Ende der Buchbranche beschworen wurde und digital-versierte Karohemdträger aus dem Silicon Valley kaum noch ohne ihre Kindles, Tolinos, Kobos, iPads und wasnichtnoch zu sehen waren, trieb Amazon das Prinzip „retro“ auf ein neues Level und eröffnete in Seattle einen eigenen Buchladen. Brick-and-Mortar, wie man in Übersee sagt, mit luftig-übersichtlichen Regalen, Kundenbetreuern und einem aus Kundendaten generierten Angebot. Verrückt.

Mittlerweile hat sich die Sachlage etwas normalisiert, der Hype um die digitalen Bücher ist erwartungsgemäß auf ein eher ruhiges Niveau abgeflacht und auch der E-Book-Absatz ging zuletzt etwas zurück. Nun macht Penguin Random House Schlagzeilen, indem man sich auf eine alte Verlegertradition besinnt und einen eigenen Buchladen aufmacht.

Starten soll das Projekt zunächst in Puerto Rico in der Hauptstadt San Juan in Zusammenarbeit mit der örtlichen Buchhandelskette The Bookmark. Auf rund 300 Quadratmetern soll es etwa 1.000 Titel von PRH geben, eine Kinderecke und Literatur für Jugendliche und junge Erwachsene. JR Blue Label, Mutterunternehmen von The Bookmark, ist naturgemäß begeistert, mit dem größten Publikumsverlag der Welt zusammenzuarbeiten („Wachstumsmöglichkeiten“!) und auch PRH selbst gibt sich überschwänglich und fährt die große PR-Maschine hoch. „Das ist wirklich etwas ganz neues für uns“, verkündete PRH-Marketingdirektor Cyrus Kheradi.

Nicht wirklich. Offenbar hat man sich bei PRH schon ein ganzes Stück von der eigenen Vergangenheit entfremdet, denn zu PRH gehört der US-Verlag Doubleday. Und der hatte sogar eine ganze Kette von Buchhandlungen, bis PRH diese 1990 vier Jahre nach der Übernahme an Barnes & Noble verkaufte. Aber zugegeben, mit „Wir probieren jetzt einfach, was wir vor 25 Jahren eigentlich abgeschrieben hatten“, lässt sich ja kaum Aufmerksamkeit erregen.


Wo man Bücher kauft

Statt eines Kaffees heute nur einen Montagsespresso, in dem ich auf einen Beitrag vom Kaffeehausbesitzer verweisen möchte, in dem dieser recht pointiert darlegt, weshalb man nicht bei Amazon kaufen sollte. Mal abgesehen von dessen Beschäftigungspraktiken und Knebelverträgen macht Amazon nämlich nichts anders als Buchhändler, nicht einmal schneller ist Amazon, wenn man sich die Sachlage genau betrachtet. Der US-Konzern macht sich nämlich nur mittels praktischem Marketing die Faulheit der Kunden zunutze. Bücher sind dank der Buchpreisbindung in der Buchhandlung nicht teurer und in der Regel am nächsten Werktag da – auch Amazon nutzt die üblichen Großhändler, dank der Post kann es bei Amazon unter realen Umständen also sogar länger dauern.

Leseempfehlung!


Montagskaffee #9

Guten Morgen.

Plasma oder Papier? Die große Masse der Leser war noch nie dafür bekannt, stets einer Meinung zu sein, insofern war es nicht wirklich probematisch, dass man sich über die Frage nach klassisch analogem Buch oder digitalem E-Book-Reader wieder einmal in zwei Lager teilte. Nun allerdings zeigt sich, dass es mitnichten nur um Vorlieben oder Abneigungen gegen den digitalen Wandel geht, sondern dass auch im Gehirn unterschiedliche Prozesse ablaufen, je nachdem ob man von Papier oder Bildschirmen liest. Offenbar werden beim Lesen digitaler Inhalte andere Hirnregionen beansprucht, als durch das Lesen von Büchern. Problematisch daran ist, dass die Fähigkeit, konzentriert und tief zu lesen, abhanden kommt, wenn sie nicht regelmäßig genutzt wird. Was folgt, sind Konzentationsstörungen, weil das Hirn unbewusst die Buchseiten scannt und sich weniger an einzelnen Zeilen aufhält. Ein Punkt also für die Papier-Fraktion. So gut ist der Kindle eh nicht.

Auf io9.com rechnet Esther Inglis-Arkell mit der allzu oft romantisierten Vorstellung von Revolutionen in der Literatur ab. Das Problem vieler post- oder prä-revolutionärer Dystopien sei – neben Teenagern – dass die Revolutionen idealisiert und realitätsfern sind. In zehn Punkten zeigt sie auf, was so alles nicht stimmt, darunter die Vorstellung, es sei immer nur der böse Diktator schuld, nicht etwa vielleicht eine herrschende Elite oder Oberschicht. Auch beliebt: Uneingeschränkte Symmpathien und Unterstützung für die Helden durch Schmugglerbanden, die aber prinzipiell Teil des Systems sind und ihre Profite verlieren, wenn die Revolution obsiegt.

Apropos Groß gegen Klein und Papier gegen Plasma: Vergangene Woche hat der Online-Riese Amazon die neue Generation von Kindle und Fire-Tablet vorgestellt. Soweit, so unspektakulär.  Neu ist jedoch, dass es jetzt für den kostengünstigen Einstiegspreis von rund 150 US-Dollar eine Variante des Tablets für Kinder gibt. Schön bunt, vermeintlich unkaputtbar, und falls es doch zu Bruch geht (und das wird es, in Kinderzimmern gibt es kein „unzerstörbar“) ersetzt der Hersteller das Gerät in den ersten zwei Jahren ohne zu fragen. Höflich, nicht? Doch Amazon serviert hier eine Einstiegsdroge für die ganz Kleinen. Gedacht ist das Gerät nämlich für Kinder ab drei Jahren. Und obwohl es so daher kommt, ist es, wie Fridtjof Küchemann in der FAZ richtig bemerkt, mitnichten ein Spielzeug, sondern der Einstieg in die schöne neue Multimedia-Welt, in der Amazon den Kanon diktiert.


Montagskaffee #6

Guten Morgen.

Revolte! Die versammelten Redakteure des „Spiegels“ haben in der vergangenen Woche ihrem Chefredakteur die rote Karte gezeigt und gemeinsam gegen dessen Pläne eines „Spiegel 3.0“ gestimmt. In der FAZ lässt sich nachlesen, welch komplizierte Strukturen hier aufeinander prallen und weshalb eine Umstrukturierung des Magazins zum „Hauen und Stechen“ ausarte. An der Auseinandersetzung, die nicht zuletzt Chefredakteur Wolfgang Büchner den Job kosten könnte, zeigt sich die ganze Emotionalität des Konfliktes zwischen etablierten Rechercheredaktionen und schnelllebiger Online-Redaktion. Wie beide Lager zu vereinen sind, das ist jetzt ganz Aufgabe der Chefredaktion unter Büchner und Geschäftsführer Ove Saffe, die Gesellschafter haben sich nämlich geschlossen hinter die Neuerungspläne gestellt – und die Aufgabe der Vermittlung mit den Redakteuren ebenso geschickt abgegeben.

In der bunten Welt der Comicverfilmungen gibt es ab dieser Woche einen neuen Mitspieler, besser eine ganze Gruppe neuer Mitspieler: Marvels „Guardians of the Galaxy„. Bunt, lauter und nun mit einem frech-niedlichen Waschbären als Protagonist versucht Hollywood durch das Aufkochen einer durchaus schon älteren, aber in der Regel weniger beachteten Comicreihe neuen Wind in die etablierte Comicvielfalt zwischen Spider Man und Captain America zu bringen. Sophie Charlotte Rieger zeigt auf „filmosophie„, weshalb sie mit dem Film und seinem Informations- und Effektbombardement nicht einverstanden ist. Fehlende Einführung, klassische Geschlechterklischees und die Verharmlosung der brutalen Gewaltdarstellung sind ihre Hauptkritikpunkte.

Noch einmal zurück zum Kampf Analog gegen Digital. In der „taz“ schrieb jüngst Johannes Thumfart ein Loblied auf die Möglichkeiten und Inklusivleistungen des E-Books. Jetzt antwortet ihm Sonja Vogel und relativiert seine euphorischen Theorien. Das E-Book sei mitnichten besonders inklusiv, hinter den vermeintlich günstigen Produktionskosten stecke lediglich das kommerzielle Interesse von Großhändlern wie Amazon. Sie kommt dabei zu einem wichtigen Schluss: Natürlich gebe es bei E-Books weder Druck- noch Lagerkosten – doch die würden auch bei konventionellen Büchern nur einen geringen Teil der Kosten ausmachen. Teuer seien Lektorat, Honorare, Öffentlichkeitsarbeit und Autorenbetreuung – Punkte, auf die Verlage auch bei E-Books nicht verzichten können. Kaum ein Buch werde druckfertig geschrieben, und kaum ein Autor schafft es, sich im reinen Selbstvertrieb gegen die Marketingmaschinen etablierter Großhändler und Verlage durchzusetzen.