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Ankaras Einflussnahme auf die Kultur in Europa

Bluttests für Bundestagsabgeordnete, Drohungen gegen Deutschland und die EU, Anschuldigungen gegen den Papst: Die Vehemenz, mit der der türkische Staatspräsident Recep Tayip Erdoğan auf die Armenien-Resolution des Bundestags und jeden Hinweis auf den Völkermord an den Armeniern in den Jahren 1915/16 reagiert, ist gleichermaßen schockierend wie entlarvend. Zuletzt durften deutsche Politiker ohne triftige Gründe die in der Türkei stationierten Bundeswehrsoldaten nicht besuchen und auch auf dem Gipfeltreffen der Nato in Warschau konnte keine diplomatische Lösung gefunden werden.

Ganz im Gegenteil, ließ die türkische Regierung doch verbreiten, man fordere die Bundesregierung auf, sich offiziell von der Armenien-Resolution zu distanzieren. Ohne diesen Schritt sei keine Lösung für den Dissens möglich. Die Vorstellung, die Bundesegierung könne sich tatsächlich von einer Entscheidung des Bundestags distanzieren, die sie nahezu einstimmig mitgetragen hat, ist nicht nur himmelschreiend absurd, sondern offenbart auch, welche Vorstellung von Demokratie, Herrschaft und Regierung Erdoğan verfolgt.

Die Armenien-Resolution und die Auseinandersetzung mit dem Völkermord an den Armeniern sorgt jedoch nicht nur für außen- und verteidigungspolitische Konflikte, sondern provozierte auch eine dreiste kulturpolitische Einmischung Ankaras. Gemeint ist damit nicht Erdoğans pikiert-beleidigte Reaktion auf die durchschaubare Provokation von Jan Böhmermann Ende April. Diese ist an anderer Stelle in aller Ausführlichkeit diskutiert worden.

Bereits im November 2015 initiierten die Dresdner Sinfoniker anlässlich des 100. Jahrestages des Völkermords an den Armeniern gemeinsam mit dem Gitarristen Marc Sinan das Konzertprojekt „aghet – ağıt“. Ağıt, türkisch für „Klagelied“, Aghet, armenisch für „Katastrophe“ und Synonym für den Genozid, der mit der Verhaftung armenischer Intellektueller begann und mit dem Tod von rund 1,5 Millionen Menschen endete. Die Konzerte sollen ein Zeichen der Versöhnung sein und entstehen als deutsch-armenisch-türkisch-jugoslawisches Gemeinschaftsprojekt.

Gefördert wurde und wird das Projekt, das im April und Mai in Dresden und Brandenburg an der Havel aufgeführt wurde und im November auch nach Belgrad, Jerewan und Istanbul kommen soll, auch von der EU-Kommission. Genau dort hat die türkische Regierung ihren Protest angesetzt. Mehrfach sei der türkische EU-Botschafter vorstellig geworden und habe die Institution aufgefordert, die finanzielle Unterstützung einzustellen, erklärte Markus Rindt, Intendant der Sinfoniker. Dieser „Angriff auf die Meinungsfreiheit“ hatte offenbar zumindest teilweise Erfolg, denn der Hinweis auf die finanzielle Unterstützung für „Aghet“ verschwand in der Folge von den Webseiten der Kommission.

Das Absurde daran ist, dass auch die Türkei ganz offiziell Partner und Geldgeber des Projekts ist. Auch am vorherigen Projekt des Komponisten Sinan war die Türkei anfangs beteiligt. Als jedoch in „Dede Korkut“ ebenfalls vom „Massaker“ die Rede war, zog schon damals die Regierung in Ankara ihre finanzielle Unterstützung zurück. In „Aghet“ jedoch wird der Völkermord explizit als solcher bezeichnet, eine Änderung entsprechender Passagen lehnt Sinan entschieden ab – entsprechend vorhersehbar also die türkische Reaktion.

„Was in unseren Theatern gespielt wird, dürfen weder Herr Erdoğan noch Herr Putin entscheiden“, kritisierte im April Grünen-Ko-Vorsitzender Cem Özdemir, einer der Hauptunterstützer der am 2. Juni vom Bundestag nahezu einstimmig[1] beschlossenen Armenien-Resolution.

„Drohungen mit dem Ziel, die freie Meinungsbildung des Deutschen Bundestags zu verhindern, sind inakzeptabel“, erklärte Bundestagspräsident Norbert Lammert in seiner Erklärung vor der Abstimmung zur Resolution[2]. Ebenso inakzeptabel ist auch die Einmischung in das freie Kulturschaffen und die künstlerische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Über die „Hintertür“ der Kulturfinanzierung hat Ankara versucht, ein für die türkische Position unbequemes Kulturprojekt zu verhindern und damit auch den unternommenen Versöhnungsprozess torpediert. Es ist beinahe unbegreiflich, mit welcher Vehemenz die Regierung Erdoğan versucht, jegliche Kritik im Keim zu ersticken. Was im eigenen Land mit Tränengas und Gefängnis funktioniert, wird international mit Drohungen und Einflussnahme versucht. Das ist umso erstaunlicher, als sich Ankara wiederum jegliche Kritik an den eigenen Methoden als „Einmischung in innere Angelegenheiten“ aufs Entschiedenste verbittet.

Bei aller gebotenen Diplomatie, eine derartige Einflussnahme auf die Kultur ist nicht akzeptabel. Das Verhalten Erdoğans erlaubt keine Beschwichtigung und es ist auch die Aufgabe der Politik, dies offen zu thematisieren. „Die Appeasementpolitik Europas ist brandgefährlich und wendet sich gegen die türkische Zivilgesellschaft“, mahnt auch der Musiker Marc Sinan. Europa kann und darf es sich nicht erlauben, den Machtphantasien Erdoğans derartig freien Raum zu lassen, ohne dabei die derzeit so oft zitierten europäischen Ideale zu verraten.

[1] Plenarprotokoll der 173. Sitzung vom 02.06.2016, 17039 A.

[2] Ebd., 17027 D.


Erinnerungen in Sepia: Ossip Mandelstams „Reise nach Armenien“

1930 gelingt es dem russischen Dichter Ossip Mandelstam, seine lang ersehnte Reise nach Armenien anzutreten. Für ein paar Monate kann er freie Luft atmen und aus den Zwängen der Sowjetunion ausbrechen. Während dieser Zeit entsteht Die Reise nach Armenien, der letzte Aufschrei eines unterdrückten Dichters, der sich mit aller Kraft gegen den Druck eines diktatorischen Regimes stemmt. Eines Dichters, der schließlich in der Verbannung stirbt. Acht Monate lang reist er durch Armenien; seine Erlebnisse sind ein letztes Atemholen vor der nächsten, entscheidenden Verfolgungswelle.

Ossip Mandelstam: Die Reise nach ArmenienDas Auge wird für ihn zum wichtigsten Organ: „Mein Buch spricht davon, daß das Auge ein Instrument des Denkens ist, daß das Licht eine Kraft und daß das Ornament Gedanke ist.“ Das Sehen steht für Mandelstam noch vor allen anderen Sinnen, mit denen er die Eindrücke Armeniens in sich aufnimmt und die er zu seiner bildreichen Poesie vearbeitet.

Armenien, das Land der ersten christlichen Kultur, ist der Ursprung, die Wurzel der Zivilisation. Es ist dieser Ort, an dem Mandelstam versucht, Atem zu holen und den Blick frei schweifen zu lassen. Was entsteht, ist die Poesie der Augenblicke einer längst vergangenen Zeit. In Armenien scheint die Zeit langsamer zu verrinnen, rund um den Berg Ararat hat sich eine Wolke der Freiheit verhangen, die nur sehr langsam verfliegt. Mandelstams Essays bieten flüchtige Momentaufnahmen, die im Geiste sepiafarbene Erinnerungsbilder formen.

Die Raue Natur und die Reinheit der Menschen bieten einen scharfen Kontrast zur sich entwickelnden Moderne und Anonymität der Städte. Doch Mandelstam verbindet beide Welten, schweift durch die ungezähmte Natur und erörtert entscheidende philosophische Fragen seiner Zeit. Er verbindet die Natur mit den Meistern des Impressionismus und übt zugleich scharfe Kritik an der Gleichschaltung der Sowjetliteratur, indem er bewusst mit deren Verordnungen bricht. Seine Gedankensplitter folgen keiner äußeren Logik; Sprünge und Brüche beherrschen ein Gesamtbild, welches immer wieder von Kontrasten und plötzlichen Assoziationen aufgebrochen wird. Und so entstehen die raschen Wechsel zwischen seinen philosophisch-philologischen Betrachtungen und überschäumenden Naturmetaphern, die kaum erfassen können, welch unbändige und ursprünglichen Kräfte auf ihn einwirken. Und immer wieder ist es das Auge des Lesers, welches angeregt werden soll, die oberen, offensichtlichen Schichten zu durchbrechen und vorzustoßen in tiefere, bedeutendere Schichten des Sehens.

Mandelstams Reise ist ein Plädoyer für die Ursprünglichkeit und Freiheit der armenischen Bevölkerung. Und für die Freiheit des Geistes, der Wissenschaft und des Menschen. Sie ist dichte, schillernde und vielseitige Prosa, die den Leser einen Hauch jener Freiheit schmecken lässt, die Mandelstam in Armenien fand und erlebte.

Ossip Mandelstam: Die Reise nach Armenien.
Frankfurt am Main: Suhrkamp 2007 (erstmals veröffentlicht 1983)
152 Seiten, gebunden
15,95 €

Rezension erschienen in: rezensöhnchen – Zeitschrift für Literaturkritik 41 (2007), S. 16.


Montagskaffee #16

Guten Tag.

1923 ist Ralph Giordano in Hamburg geboren. Aufgewachsen mit den Erfahrungen von Ausgrenzung, Missachtung und drohender Deportation überlebte er den Krieg in der Hansestadt und entschied sich wider alle Erwartungen dafür, in Deutschland zu bleiben. Die Aufarbeitung der Entmenschlichung während der Zeit des Nationalsozialismus wurde zu seinem erklärten Ziel, das er Zeit seines Lebens noch um die Aufklärung über Faschismus und Stalinismus erweiterte. In Dokumentarfilmen und Büchern berichtete er über die Brandherde der Welt (1990), bis er sich in seinem Roman Die Bertinis 1982 auch seiner eigenen Familiengeschichte widmete und einen Welterfolg schrieb, der die kritische Diskussion anheizte und letzten Endes auch seine weitere Beschäftigung mit der Frage nach der Verdrängung der Schuld in Deutschland nach 1945 anregte. Am 10. Dezember ist Ralph Giordano im Alter von 91 Jahren in Köln verstorben. Ein ausführlicher Nachruf lässt sich auf „Faz.net“ nachlesen.

Einen Film über den Völkermord an den Armeniern in der Türkei zu zeigen, galt bis vor Kurzem als unvorstellbar. Dass dieser Film auch noch von einem türkischen Regisseur stammt, ganz ausgeschlossen. Nun wird seit geraumer Zeit Fatih Akins The Cut gezeigt, auch in der Türkei. Die angekündigten ultranationalistischen Proteste sind bisher ausgeblieben und glaubt man der „taz“, so läuft bisher alles „geradezu erfreulich normal“. Akin selbst meinte nach dem Start des Films, die Türkei sein nun bereit für das Thema und erklärte in einem Interview mit der türkischen „Zaman“ zudem, weshalb er die Ereignisse von 1915 für einen Völkermord hält. Gedenkt man der früheren Hysterie, die das Thema bereits auslöste und etwa zu den Drohungen gegen Orhan Pamuk und gar dem Mord an Hrant Dink führte, eine erstaunliche Entwicklung. Erstaunlich auch das Paradoxon, welches die „taz“ angesichts Orhan Pamuks neuem Roman konstatiert: Über den Völkermord zu schreiben scheint erlaubt, jedoch bloß keine Kritik an Erdoğan oder dessen Politik.

Nach Dunkelheit am Ende des Tunnels (2012) erschien jetzt mit Das allgemein Unmenschliche eine weitere Prosasammlung des norwegischen Autors Tor Ulven. „Wenn man zu dem wesentlichen Schmerz im Leben gelangt, ist das Kunstwerk tot und machtlos“, sagte Ulven in seinem einzigen Interview, das dem schmalen Band beigelegt ist und das einen Einblick seine Poetik und sein Schaffenscredo gibt. Das allgemein Unmenschliche versammelt erneut Kurzprosa, die wie schon in Dunkelheit am Ende des Tunnels fast hermetisch um die Motive Auflösung, Verschwinden, Dunkelheit und das Vergehen der Zeit kreisen. Den Reiz seiner dunklen Poesie macht Ulvens nüchterne und doch bildgewaltige Sprache aus, die den Schrecken des Alltäglichen in sachliche Zeilen fasst, ihn greifbar macht, ohne ihn jedoch zu banalisieren.