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Montagskaffee #21

Guten Morgen.

Tilman Spreckelsen schreibt in der FAZ über die neue Herausgeberschaft der Großen Brandenburger Ausgabe der Werke Theodor Fontanes, die auf die Göttinger Germanisten Gabriele Radeke und Heinrich Detering übergegangen ist. Mit Fontanes Autobiographie Von Zwanzig bis Dreißig ist nun der erste Band der beiden Forscher herausgekommen. Auf über 500 Seiten ist Fontanes Werk in der kommentierten Ausgabe angewachsen und bleibt dank der kenntnisreichen und eloquenten Kommentare von Wolfgang Rasch, der für den Band verantwortlich ist, dennoch eine unterhaltsame Lektüre. Wie Spreckelsen schreibt, ein „ständiger, mitunter amüsanter Dialog mit dem Autor“, in dem Rasch auch die eine oder andere Inkonsistenz in Fontanes Aussagen nüchtern widerlegt. Interessant an der neuen Ausgabe ist, dass gedruckt nur die Hälfte des Apparats zu finden ist. Die andere Hälfte ist auf den Webseiten der Uni Göttingen zu finden und bietet damit auch die Gelegenheit, ständig aktualisiert und ergänzt zu werden. Ein Vorteil, auch wenn die Präsentation und Nutzbarkeit noch etwas Feinschliff nötig hat.

Indes sprach der Berliner Schriftsteller Sherko Fatah mit dem Tagesspiegel über den Sinn von Literatur angesichts von Gewalt und Leid in der Welt und der zunehmenden „Verwahrlosung demokratischer Gesellschaften“. In Anbetracht des tagesaktuellen Grauens sieht Fatah durchaus das Problem, dass Literatur irgendwann nicht mehr ausreichen könne, die Realität darzustellen und zu erklären. Schon Johnathan Littell sei mit seinem Versuch, in Die Wohlgesinnten das Grauen des Holocaust aus Sicht der Täter darzustellen, gescheitert. Die grundsätzliche Fokussierung auf die Religion hält er jedoch nicht für den richtigen Ansatz, um den islamistischen Terror und seine Anziehungskraft auch auf radikalisierte junge Westeuropäer zu erklären. Vielmehr erkennt er einen „Terror der Sitten, für den man eine spezifische Religion gar nicht bräuchte: Die Verhältnisse wären auch so repressiv, das waren sie nämlich schon vor der Islamisierung.“

70 Jahre nach dessen Tod sind nun auch die Urheberrechte von Antoine de Saint-Exupéry erloschen, was zu zahlreichen Neuauflagen seines bekanntesten Textes Der Kleine Prinz führt. Auch in Deutschland wird es drei Neuauflagen des Klassikers geben, die sich in ihrer Tonalität überraschend unterscheiden, wie Joseph Hanimann in der Süddeutschen Zeitung beschreibt. Er hebt besonders die Variante von Hans Magnus Enzensberger heraus, die im DTV erscheinen wird und sich durch ihre Sprachliche Klarheit auszeichnet. Allerdings offenbaren alle Auflagen, dass nach wie vor der sprachlichen Brillanz de Saint-Exupérys nur schwer beizukommen ist.

Ach ja. Vergangene Woche startete die 65. Berlinale, wie eigentlich überall zu lesen ist.


Nur der Dialog kann die Antwort sein

Denk ich an Deutschland in der Nacht,
Dann bin ich um den Schlaf gebracht,
Ich kann nicht mehr die Augen schließen,
Und meine heißen Thränen fließen. (Heine)[1]

Unter dem Eindruck der jüngsten Ereignisse auf der Welt möchte man die Augen verschließen und sich abwenden – Elend, Leid, Terror und Krieg nicht an sich heranlassen und in ein heiteres Tomatenzüchterlummerland ausweichen. Doch die beunruhigenden Ereignisse sind längst in Europa angekommen und Teil unserer Gegenwart. Die „Pegida“-Bewegung und ihre zum Teil stark von Rechtspopulisten und Rechtsextremen unterwanderten regionalen Ableger sind derzeit drauf und dran, ein historisches Erbe anzutreten, das eigentlich überwunden geglaubt wurde.

6.500 Menschen gingen am Mittwochabend in Köln gegen den lokalen Ableger „Kögida“ auf die Straße, um ein Zeichen zu setzen für Menschlichkeit, Toleranz und Brüderlichkeit. Auf der Gegenseite versammelten sich etwa 150 selbsternannte „Patrioten“, unter ihnen auch zahlreiche Anhänger der „Hogesa“, jener Hooliganbewegung, die bereits am 26. Oktober 2014 eine Straßenschlacht mit der Kölner Polizei anzettelte und die mit ihrem islamophoben Gedankengut der „Kögida“-Bewegung nahesteht.

Auch wenn „Pegida“ in Dresden ebenfalls seit Oktober 2014 auf die Straße geht, formiert sich offenbar erst jetzt, nach den Anschlägen in Frankreich vom 7. Januar, organisierter Widerstand. Am vergangenen Montag fanden bundesweit zahlreiche Gegendemonstrationen statt, zu denen insgesamt mehr als 120.000 Menschen zusammenkamen. Demgegenüber standen auf den verschiedenen Kundgebungen 33.700 Anhänger der „Pegida“.[2]

Teilnehmer der Kundgebungen am 12. und 15 Januar 2015

Teilnehmer der Kundgebungen am 12. und 15 Januar 2015. Quelle: Eigene Recherche.

In allen Städten, in denen gleichzeitige Kundgebungen stattfanden, überstieg die Zahl der Gegendemonstranten die der „Pegida“-Anhänger. In allen, außer in Dresden. Was macht Dresden zur Heimatstadt der Islamgegner, die in der Zuwanderungswelle eine Gefährdung ihrer „abendländischen Kultur“ sehen? Die schiere Masse der Flüchtlinge kann es in Sachsen wohl kaum sein.[3] Es dürfte aber zugleich auch keine Reaktivierung jener oft unterstellten Rückständigkeit des „Tals der Ahnungslosen“ sein.[4] Es darf also davon ausgegangen werden, dass sich in Dresden Demonstranten aus einem deutlich größeren Einzugsbereich versammeln, weil dort eine kritische Masse überschritten wurde. Während sich andernorts nur einige Hundert mit zahlenmäßig deutlich stärkeren Gegenveranstaltungen konfrontiert sehen, lässt es sich in Dresden im Schutze Zehntausender demonstrieren. Die Masse schafft Sicherheit und sorgt zusätzlich für gesteigerte Wahrnehmung.

Einen stärkeren Hang zum Rechtspopulismus oder gar eine latente Nähe zum Rechtsextremismus sollte man den Dresdnern daher nicht unterstellen. Dennoch muss sich das Land Sachsen und speziell die Stadt Dresden fragen, weshalb etwa die Dresdner Polizei angesichts der blutüberströmten Leiche des in Dresden getöteten Flüchtlings anfangs „keine Anhaltspunkte auf eine Fremdeinwirkung“ erkennen wollte. Eine derartig groteske Fehleinschätzung muss gerade im aktuellen Kontext besonders genau untersucht werden.

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Montagskaffee #17

Guten Morgen.

Die Hoffnungen, dass das neue Jahr besser, vernünftiger und humaner werden würde, haben sich schon am 7. Januar mit den blutigen Anschlägen auf die Redaktion der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo, mehrere Polizisten und einen französischen Supermarkt, bei denen insgesamt 17 Menschen ihr Leben verloren, in Luft aufgelöst. Die Welt zeigt sich schockiert von dem barbarischen Angriff auf die Freiheit von Presse und Meinung. Es bleibt zu hoffen, dass die Attentäter ihrem Fanatismus mit ihren Racheakten, die ihrem Gott den intellektuellen Jähzorn eines Dreijährigen und offenbare Handlungsunfähigkeit unterstellen, einen Bärendienst erwiesen haben. Angesichts der internationalen Solidarität mit den Opfern und der Zeitschrift ist es mehr denn je geboten, gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und religiösen Fanatismus anzuschreiben. Verdeutlicht wird dies wohl kaum so eindrucksvoll, wie durch das Bild des Bleistifts, aus dem durch Zerbrechen zwei neue Stifte werden. Interessant wäre in diesem Zusammenhang auch zu wissen, wie viele „Pegida“-Demonstranten, die sich nun durch die Attentate in ihren xenophoben Ansichten bestätigt fühlen, noch Tage zuvor „Lügenpresse! Lügenpresse!“ skandierten.

Der Zeitpunkt des Anschlages auf Charlie Hebdo ist in gleich mehrerer Hinsicht bitter. „Wartet ab, wir haben ja noch bis Ende Januar für unsere Neujahrsgrüße“, sagt ein mit Kalaschnikow bewaffneter Terrorist in einer Karikatur der letzten Ausgabe von Charlie Hebdo auf den Kommentar „Immer noch kein Attentat in Frankreich“. Es wirkt, als hätten die Attentäter keine günstigere, zynischere Gelegenheit finden können. Zeitgleich erschien Michel Houellebecqs neuer Roman Soumission („Unterwerfung“), der im Frankreich des Jahres 2022 einen islamistischen Politiker zum Staatspräsidenten aufsteigen lässt. Natürlich ließe sich ein solcher Text als Blaupause für islamkritische Ressentiments und als Warnung vor der Islamisierung der Gesellschaft lesen. Dies wäre jedoch zu kurz gegriffen und eine zu billige Auslegung. Vielmehr geht es um Heuchelei und Opportunismus und den reaktionären Gehalt des Islamismus. Houellebecqs Roman erscheint diese Woche auf Deutsch.

Zum Abschluss bleibt der Literaturwelt zu hoffen, dass sie von weiteren Schreckenszenarien in der Zukunft verschont bleibt oder sich ihrer weiterhin souverän und solidarisch erwehrt. Angesichts des gerade erst begonnenen und des eben verklungenen Jahres gab es natürlich wieder eine Menge Listen, die auf die besten Romane 2014 zurückblickten oder einen Ausblick auf 2015 wagen. Alles natürlich herrlich subjektiv, völlig unzureichend und selektiv. Aber als Inspiration und Leseanreiz mag es dienen.