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Büchertour #3 – Abbas Khider im Mainzer Ratssaal

So ganz will der Rahmen nicht zu ihm passen, zu Abbas Khider, dem 33. Mainzer Stadtschreiber, der im Rahmen der 18. Mainzer Büchermesse in der Mitte des Mainzer Ratssaales an einem kleinen Tischchen Platz genommen hat. Um ihn herum gedimmtes Licht, auf den Plätzen der Ratsdamen- und -herren gespannte Zuschauer. Der Saal ist gut gefüllt. Die Wappen der Partnerstädte, das aufwändige Blumengesteck am offiziellen Rednerpult, das Portrait von Bundespräsident Steinmeier – der Raum wirkt feierlich, es liegt etwas „offizielles“ in der Luft.

Abbas Khider scheint das nichts auszumachen. Weder der hochoffizielle Rahmen, noch das Fehlen der Kulturdezernentin, die noch irgendwo im Stau feststeckt. Es geht auch ohne ihre Ansprache. Kurz vor dem Ende seiner „Amtszeit“ in Mainz scheint sich Khider wohlzufühlen, sich mit den Mainzern und ihren Gepflogenheiten auszukennen. Also geht es auch ohne Eröffnung, vermutlich sogar noch besser und authentischer.

Denn mit seinen Erzählungen lässt Khider den Rahmen schnell in den Hintergrund treten. Mit einer förmlich greifbaren Energie erzählt er von den kleinen Unterschieden zwischen den Städten, zwischen München, Mainz und Berlin, die ihm als Einwanderer aus dem Irak noch deutlicher vor Augen treten als den Eingeborenen. Dabei sieht er die kleinen Dinge nicht nur, sondern erzählt von ihnen, beschreibt die Kuriositäten des Alltags und fängt sich damit wohl immer wieder den Vorwurf ein, ein Märchenerzähler zu sein. Doch nicht er erfinde die Märchen, sondern das Leben selbst.

Als anschauliches Beispiel liest er aus seinem jüngsten Roman Ohrfeige, dem Monolog eines Flüchtlings, der seiner gefesselten Sachbearbeiterin in der Ausländerbehörde seinen ganzen Frust und Werdegang berichtet. Auch das sei, vielleicht von der Geiselnahme abgesehen, alles so passiert, aus dem Leben gegriffen.

Khider liest dabei wie er spricht, erzählt und schreibt: mit Leidenschaft, Begeisterung und Nachdruck, gestenreich und mit vollem Körpereinsatz. Khider liest nicht nur einen Text vor, er inszeniert ihn, deklamiert und gestikuliert – selbst wenn er ganz in seinen Text vertieft ist, scheinen seine Hände nicht ruhen zu wollen.

Sein Text, Khiders vielbeachteter Roman Ohrfeige, erzählt vom Alltag eines Asylbewerbers im Jahr 2001. Es gibt kein „Wir schaffen das“ und keine „Flüchtlingskrise“, dafür aber den 11. September und ein an Hysterie grenzendes Misstrauen gegen alles auch nur annähernd Arabische. Hinter den Kulissen hat sich bei näherer Betrachtung nicht allzu viel geändert. Hysterie und Vorurteile vergiften auch heute die Beziehung zwischen Neuankömmlingen und Alteingesessenen und noch immer ist der Umgang mit den Behörden ein Spießrutenlauf zwischen Unwille, Überforderung und Bürokratie.

Abbas Khider – „Ohrfeige“ © Hanser

Khiders Klammer, sowohl im Text als auch an diesem Nachmittag, ist das Geschichtenerzählen. Dass Menschen sich Geschichten ausdenken, um Zutritt, Schutz und Asyl zu bekommen, sei kein neues Phänomen seit 2015. Schon immer hätten sich Menschen auf der Flucht Geschichten ausgedacht, auch um ihre eigentliche Herkunft zu verschleiern. Egal ob europäische Einwanderer in den USA, jüdische Flüchtlinge in der Schweiz oder afghanische Asylbewerber im heutigen Deutschland: Das jeweilige System zwinge die Menschen dazu, Geschichten zu erfinden. Aus dieser Diskrepanz zieht Khider seinen erzählerischen Auftrag; um das „Warum“ hinter der Geschichte zu ergründen und um eine Brücke zu schlagen zwischen den „Vetretern des Systems“ und der aus der Not heraus erfundenen Geschichte.

Dass das Brückenbauen indes nicht immer einfach ist, demonstriert dieser Nachmittag mit seiner ganz eigenen Ironie: Parallel zur Veranstaltung wird der neue Teil der Schiersteiner Brücke eingerichtet. Die dafür nötige zweitägige Vollsperrung sorgt für eben jenes Verkehrschaos, dem aller Vermutung nach auch die Frau Kulturdezernentin und ihre Ansprache zum Opfer gefallen sind.


Büchertour #2 – Die Mainzer Büchermesse

Nein, mit internationalen Messegrößen wie Leipzig oder Frankfurt kann man sich nicht messen. Aber wollte man denn? Vermutlich eher nicht, legt man doch auch in anderen Dingen in Mainz eher Wert darauf, eben nicht Frankfurt zu sein. Wie oft ist es gerade die Mainzer Gemütlichkeit, dieser etwas kleinere Rahmen, die Zurückhaltung der Präsentation, die auch die jährliche Mainzer Büchermesse so attraktiv macht. Am vergangenen Wochenende fand im Mainzer Rathaus die 18. Auflage der Bücherschau statt.

Große Namen hat Mainz zur Genüge. Neben dem obligatorischen Herrn Gensfleisch schmückt man sich gerne mit der renommierten Universität, der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, ZDF, SWR und Gutenberg-Museum. Zugleich aber weiß man nicht nur wegen der kecken Mainzelmännchen auf dem Lerchenberg, dass man mit dem zweiten Blick manchmal besser sieht. Und so ist die Mainzer Büchermesse vor allem eine Schau für die Kreativ- und Medienszene der Stadt abseits der großen Institutionen. Auch wenn die – selbstverständlich – mit vertreten sind.

Im Mittelpunkt stehen aber regionale Klein- und Traditionsverlage, Initiativen, mit Büchern verbundenes Kunsthandwerk sowie Lese- und Autorenförderprogramme. Kleine Perlen mit durchaus großer Bandbreite: Da stehen die „analytisch-kritischen Heimatbeschreibungen der Pfalz“ aus dem Bachstelz-Verlag neben den Reise- und Wanderführern aus dem Hause PMV oder den regionalen Krimis und Kochbüchern aus dem Leinpfad Verlag. Der Mini-Verlag C. W. Meisterburg befasst sich mit Themen, die Kinder zwar erleben, die aber auf dem klassischen Kinderbuchmarkt eher ausgelassen werden (beispielsweise der Schlaganfall von Opa Willi). Zeitgeschichtlich hochaktuelles von Lafontaine bis Noam Chomsky findet sich im Mainzer nomen Verlag, während sowohl der Verlag S. Fechner-Sabo als auch der Jüli-Verlag und Buchkünstler Matthias Harnisch die Freunde feiner Kunst und Poesie begeistern.

Zu den kleinen Besonderheiten zählen sicher der Esperanto-Buchversand und der kleine Kinzelbach-Verlag. Ersterer versorgt Leser auf der ganzen Welt mit einem ausschließlich in Esperanto gehaltenen Programm aus Lehrbüchern, Klassiker-Übersetzungen und original in Esperanto verfassten Titeln aus Belletristik, Poesie und Sachbuch. Donata Kinzelbach hingegen gibt in ihrem kleinen Verlag seit fast 30 Jahren ausschließlich Literatur aus dem Maghreb in deutscher Übersetzung heraus und engagiert sich auf diese Weise mit Hingabe für die friedliche Verständigung zwischen den Kulturen. Über 100 belletristische Titel und Sachbücher umfasst das Programm mitllerweile.

Meine persönliche Entdeckung ist jedoch die Kombination aus Ventil und gONZoverlag. Zuerst etwas irritiert vom doch recht breiten Spektrum zwischen Punkliteratur, veganen Kochbüchern und feinen Lyrikheftchen, wurde ich rasch aufgeklärt, dass es sich um zwei unabhänige Projekte handelt, die sich lediglich einen Stand teilten. Beide unabhängig, alternativ und abseits des Mainstream. Der 1999 entstandene Ventil Verlag widmet sich dabei eher einer bunten Mischung aus Subkultur, Gesellschaftstheorie, Musik- und Filmgeschichte, während der gONZoverlag von Miriam Spies äußerst lesenswerte und alternative Belletristik und Poesie präsentiert. Besonders gespannt bin ich auf Lee Hollis‘ Many Injured, More Dead, das bei Ventil erscheint und direkt mal auf die Leseliste gewandert ist.

Es lohnt sich, abseits der bekannten Wege zu gehen. Die Pfade mögen etwas weniger bequem anmuten, die Blumen am Wegesrand sind dafür umso vielfältiger und ausgefallener.


Büchertour #0 – Ausstellungsbesuch

Ein regnerischer Tag wie heute ist eigentlich der ideale Zeitpunkt, sich mit Büchern zu beschäftigen. Nicht ganz so ideal ist dann, dass das gewählte Ziel für den Tag eine Ausstellung am anderen Ende der Stadt ist. Was soll’s – jetzt erst recht.

Nachdem der Himmel das Gröbste seines Tagesgeschäfts offenbar hinter sich gebracht hatte, machte ich mich also auf den Weg zur Mainzer wissenschaftlichen Stadtbibliothek, in der noch bis zum 2. September die Ausstellung „Seitenweise Kunst. Eine Liebeserklärung an das Buch und das Lesen“ gezeigt wird.

Die Front der wiss. Stadtbibliothek Mainz, Baujahr 1912.

Die Bibliothek befindet sich, im Gegensatz zum Großteil der Stadt – etwa auch die Öffentliche Bücherei „Anna Seghers“ – noch in der originalen Bausubstanz und liegt malerisch an Rheinufer und vierspuriger Hauptverkehrsader. Architektonisch ist das Gebäude sicher keine übermäßige Perle, aber in einer von Nachkriegschic und Brachialbeton dominierten Innenstadt glänzen auch die Zweckbauten des frühen 20. Jahrhunderts.

Nun sollte der Spaziergang, auf dem bewusst und zur Zeitersparnis mindestens drei Buchhandlungen umgangen wurden, aber nicht der Architektur, sondern vielmehr der Literatur gewidmet sein. Davon gibt es in der Stadtbibliothek mehr als genug. Rund 550.000 Bände umfasst der heutige Buchbestand exklusive neuerer Medienformen, was die Institution zu einer der größten wissenschaftlichen Bibliotheken Deutschlands in kommunaler Hand macht. Da man immerhin auf eine Tradition seit 1477 zurückblicken kann, umfasst die Sammlung auch viele prächtige Handschriften des Mittelalters und etwa 100.000 Drucke des 16. bis 18. Jahrhunderts aus den Beständen der alten Universitätsbibliothek. Besondere Schmuckstücke zeigt das Mainzer Gutenberg-Museum als Dauerleihgabe.

Doch zurück zur Ausstellung, die – so ist es der Ankündigung zu entnehmen – die der Institution eigenen Themen wie „Lesen“ und „Bücher“ mit zeitgenössischer bildender Kunst verbinden will. Mehr als 70 Buchobjekte, Künstlerbücher, Zeichnungen, Malerei, Grafiken, Fotografien und Skulpturen werden gezeigt, die aus der Hand und Feder von 26 Künstlerinnen und Künstlern sowie den Stipendiatinnen und Stipendiaten des Künstlerhauses Schloss Balmoral stammen.

Tja. Auch schön hier.

Tja. Nun. Also mal angenommen, man hätte sich vernünftig vorbereitet, einen Plan gemacht und den Termin für den Besuch nicht noch einmal spontan verschoben, käme jetzt hier wohl der Teil mit der Ausstellungskritik und Eindrücken.

Ohne den Konjunktiv kommt jetzt allerdings nur eine relevante Service-Information: Die wissenschaftliche Stadtbibliothek Mainz ist donnerstags geschlossen.