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Defätismus des Zeitgeists: Michel Houellebecqs „Unterwerfung“

Einiges ist über Michel Houellebecqs Roman Unterwerfung schon geschrieben worden. Insbesondere über dessen vermeintliche Islamfeindlichkeit, die Houellebecq mit seinem Szenario einer moderaten islamistischen Partei an der Spitze der französischen Regierung bediene. Dieser Vorwurf gilt mithin als wiederlegt und es soll an dieser Stelle nicht der Versuch unternommen werden, weiter nach Ressentiments zu suchen, die man Houellebecq bei seinen öffentlichen Äußerungen in der Vergangenheit gerne nachweisen mag, von denen sich aber im Roman keine finden lassen.

Houellebecq_UnterwerfungFrankreich, die nicht allzu ferne Zukunft. Nachdem es der rechtspopulistische Front National bei den Präsidentschaftswahlen bis in die Stichwahl geschafft hat, bilden die Sozialdemokraten und die republikanische UMP des ehemaligen Präsidenten Sarkozy eine opportunistische Allianz mit der islamistischen Muslimbruderschaft, um einen Aufstieg der Nationalisten zu verhindern. Damit jedoch führen sie Mohammed Ben Abbes zur Präsidentschaft und Frankreich in eine hastige Islamisierung, die zwar vordergründig sozialen Zusammenhalt und einen drastischen Rückgang der Arbeitslosigkeit hervorruft, beides jedoch erkauft, indem man etwa Frauen jegliche Berufsausübung verbietet.

Unterwerfung ist nicht nur eine scharf beobachtete Kritik am maroden westeuropäischen Wertesystem, sondern eine bissige Satire auf den intellektuellen Universitätsbetrieb, seine Unterwürfigkeit unter die jeweils herrschenden Systeme und seine unersättliche Gier nach Macht, Anerkennung und Fördergeldern. Die Zeiten revoltierender Professoren sind bei Houellebecq längst vorüber und erschütternd nüchternem Opportunismus gewichen. Insbesondere die Literaturwissenschaft erschöpft sich in selbstreferentiellem Eskapismus, der einzig auf Selbsterhalt ausgelegt ist und für die Literatur der Gegenwart nichts als elitäre Verachtung übrig hat. Dementsprechend sachlich konstatiert Houellebecqs Protagonist François:

„Ein Studium im Fachbereich Literaturwissenschaften führt bekanntermaßen zu so ziemlich gar nichts außer – für die begabtesten Studenten – zu einer Hochschulkarriere im Fachbereich Literaturwissenschaften.“ (S. 13)

Den Universitätsbetrieb der Sorbonne, finanziert von saudischen Petrodollars, karikiert Houellebecq als nur allzu schnell unter das Scharia-Dekret gleichgeschaltete Männerrunde, die es sich mit elitärem Dünkel gemütlich im neuen System einrichtet, ohne dessen eigentliche Bildungsfeindlichkeit zu erkennen.

Man mag Unterwerfung als ebenso elitären, stellenweise nihilistischen Altherren-Porno kritisieren, das Urteil wäre gerechtfertigt. Doch Unterwerfung ist zynisch und präzise, eine sprachlich messerscharfe Analyse des Zeitgeistes und zugleich eine tiefdüstere Dystopie. Die Erzählfigur passt in dieses Gesellschaftsbild, in dem es keinen echten Widerstand gibt und für die auch die Flucht in die Natur umso entlarvender die unbewusste Unterwerfung unter die Zustände verdeutlicht. Letztendlich strebt François, wie der von ihm verehrte Joris-Karl Huysmanns, nach der bürgerlichen Ruhe eines „ehrlichen Haushaltes“ und Herdfeuers, an dem außen der kalte Winter vorüberzieht. Auch bei ihm sind Ausschweifungen und Exzess ein Trick, diesen im Grunde konventionellen Wunsch zu verbergen und sich vermeintlich gegen das gesellschaftliche Wertesystem zu wenden, ohne es dabei aber tatsächlich infrage zu stellen.

Houellebecq charakterisiert die Einsamkeit des Individuums in einer kranken Gesellschaft, die Geld-, Erfolgs- und Leistungsdrang hinter einer übersteigerten politischen Korrektheit verbirgt, die wiederum einen krampfhaften Zusammenhalt proklamiert, wo in Wirklichkeit übersteigerter Egoismus herrscht. Wenn Houellebecq dabei die islamistische Partei als jene darstellt, die mit dem Versprechen konventioneller Werte, Zusammenhalt und Familie erfolgreich jenes Vakuum füllen will, so ist die Partei nur eine austauschbare Schablone für funktionierende politische Propaganda. Auch die extreme Rechte wirbt im Grunde mit den gleichen Ideen; Zusammenhalt, Familie, Wertegemeinschaft und Reduzierung der Frau auf ihre Rolle als Mutter. Da Islamkritik im Gegensatz zu Nationalismuskritik in Houellebecqs Vision wie in unserer Gegenwart nicht opportun ist, unterwirft sich die politische und intellektuelle Elite des Landes willfährig dem scheinbar kleineren Übel, um die eigene Haut und den eigenen Wohlstand zu sichern. Frauen und Juden werden – zumindest in Houellebecqs düsterer Prognose gar nicht erst gefragt.

Beleidigt dürften sich Muslime von Houellebecq indes nicht fühlen, denn auf sie zielt seine Satire nicht. Vielmehr auf den europäischen Wohlstandsdefätismus, die fast schon zur Prostitution neigende Anpassungswilligkeit des Liberalismus und auf ein Frankreich, dem es an historischer Aufarbeitung ähnlicher Kollaborationen mangelt. Houellebecqs Figur François ist letztlich weder revolutionär noch reaktionär, sondern verkörpert die allgemein gewordene farblos-gleichgültige Unentschlossenheit eines Nihilisten.

Michel Houellebecq: Unterwerfung
Köln: DuMont 2015
272 Seiten, gebunden
22,99 €


Montagskaffee #20

Guten Morgen.

Es ist sicherlich keine Überraschung, dass die Kulturbetriebe nicht gerade die Speerspitze der Digitalisierung ausmachen. Dies ist insofern nicht tragisch als dass ein Museum ja schon per Definition dem Anspruch von Tagesaktualität nicht genügen kann. Es ist also weder notwendig noch zwingend wünschenswert, wenn Museen und Kultureinrichtungen auf jeden digitalen Trend aufspringen und ihn sofort in ihre Marketing- und Vermittlungsstrategien integrieren. Damit würden sie sich viel zu sehr zum Kasper einer hyperaktiven ADS-Gesellschaft machen, eine Rolle die von anderen Medien und der Werbeindustrie eigentlich schon gut genug ausgefüllt wird. Allerdings darf man natürlich auch nicht völlig den Anschluss verlieren und sollte sich zumindest hintergründig Gedanken um die eigene digitale Strategie machen. Christian Henner-Fehr plädiert in seinem Beitrag zum „digitalen Erlebnisraum“ ebenfalls dafür, nicht mehr für jedes Museum eine eigene App zu gestalten, die Zeit dafür sei mittlerweile wohl eher abgelaufen. Heute bestünde die Aufgabe vielmehr darin, einen Erlebnisraum zu schaffen, der die Besucher dazu anhält, von sich aus über das Museum zu berichten (Stichwort: „Earned Media“). Um das zu erreichen, ist aber zuerst ein „soziales Objekt“ vonnöten, um das herum der digitale Erlebnisraum geschaffen werden kann. Die Institutionen brauchen also zuerst eine Beschäftigung mit ihren eigenen Inhalten, bevor sie sich an die digitale Vermarktung setzen.

Wer an Romane denkt, die sich mit Überwachung und Unterdrückung in totalitären Systemen beschäftigen, denkt fast automatisch – und zu Recht – an 1984. So prägnant und erschreckend aktuell, wie Orwell die total Überwachung und Bespitzelung der Bürger in einem faschistisch-allmächtigen Staat beschrieben hat, ist es wohl bisher keinem Autor wieder gelungen. Dennoch ist das Thema mit 1984 nicht abgeschlossen. Hannah Komrowski stellt in der Kritischen Ausgabe den Roman Paranoia von Viktor Martinowitsch, der in seiner Konstellation – Liebespaar im totalitären Staat – dem Gerüst von 1984 recht ähnlich ist. Auch Martinowitsch versetzt seine Handlung an einen fiktiven Ort, doch ist dieser im Gegensatz zu Orwell sehr deutlich als Minsk, Weißrussland, zu erkennen. Martinowitschs Heimat, in der seit 1994 Aljaksandr Lukaschenka, der „letzte Diktator Europas“, herrscht, ist wie die Gesellschaft im Roman geprägt von einem Klima der Angst, Paranoia und vorauseilendem Gehorsam. Geschürt wird dieses Klima von der ständigen Androhung staatlicher Repressalien, die auch Martinowitsch zu spüren bekam. Bereits kurz nach der Veröffentlichung war sein Roman, der jetzt auf Deutsch erschienen ist, aus den Buchhandlungen verschwunden. Ein offizielles Urteil habe es nicht gegeben, der Verkauf war einfach verboten worden.

In der vergangenen Ausgabe der Zeit sprach Iris Radisch mit Michel Houellebecq über dessen Roman Unterwerfung und die aktuelle Stimmung in Frankreich. Obwohl das Interview nicht allzu viel Neues ergab, so ist doch unterhaltsam, wie lakonisch und ungerührt sich Houellebecq dagegen wehrt, als Autor die Positionen seiner Romanfiguren einzunehmen. Schon erstaunlich, dass die Trennlinie zwischen Autor und Werk noch immer mit voyeuristischer Neugier übertreten wird. Frau Radisch sollte das eigentlich besser wissen.


Montagskaffee #17

Guten Morgen.

Die Hoffnungen, dass das neue Jahr besser, vernünftiger und humaner werden würde, haben sich schon am 7. Januar mit den blutigen Anschlägen auf die Redaktion der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo, mehrere Polizisten und einen französischen Supermarkt, bei denen insgesamt 17 Menschen ihr Leben verloren, in Luft aufgelöst. Die Welt zeigt sich schockiert von dem barbarischen Angriff auf die Freiheit von Presse und Meinung. Es bleibt zu hoffen, dass die Attentäter ihrem Fanatismus mit ihren Racheakten, die ihrem Gott den intellektuellen Jähzorn eines Dreijährigen und offenbare Handlungsunfähigkeit unterstellen, einen Bärendienst erwiesen haben. Angesichts der internationalen Solidarität mit den Opfern und der Zeitschrift ist es mehr denn je geboten, gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und religiösen Fanatismus anzuschreiben. Verdeutlicht wird dies wohl kaum so eindrucksvoll, wie durch das Bild des Bleistifts, aus dem durch Zerbrechen zwei neue Stifte werden. Interessant wäre in diesem Zusammenhang auch zu wissen, wie viele „Pegida“-Demonstranten, die sich nun durch die Attentate in ihren xenophoben Ansichten bestätigt fühlen, noch Tage zuvor „Lügenpresse! Lügenpresse!“ skandierten.

Der Zeitpunkt des Anschlages auf Charlie Hebdo ist in gleich mehrerer Hinsicht bitter. „Wartet ab, wir haben ja noch bis Ende Januar für unsere Neujahrsgrüße“, sagt ein mit Kalaschnikow bewaffneter Terrorist in einer Karikatur der letzten Ausgabe von Charlie Hebdo auf den Kommentar „Immer noch kein Attentat in Frankreich“. Es wirkt, als hätten die Attentäter keine günstigere, zynischere Gelegenheit finden können. Zeitgleich erschien Michel Houellebecqs neuer Roman Soumission („Unterwerfung“), der im Frankreich des Jahres 2022 einen islamistischen Politiker zum Staatspräsidenten aufsteigen lässt. Natürlich ließe sich ein solcher Text als Blaupause für islamkritische Ressentiments und als Warnung vor der Islamisierung der Gesellschaft lesen. Dies wäre jedoch zu kurz gegriffen und eine zu billige Auslegung. Vielmehr geht es um Heuchelei und Opportunismus und den reaktionären Gehalt des Islamismus. Houellebecqs Roman erscheint diese Woche auf Deutsch.

Zum Abschluss bleibt der Literaturwelt zu hoffen, dass sie von weiteren Schreckenszenarien in der Zukunft verschont bleibt oder sich ihrer weiterhin souverän und solidarisch erwehrt. Angesichts des gerade erst begonnenen und des eben verklungenen Jahres gab es natürlich wieder eine Menge Listen, die auf die besten Romane 2014 zurückblickten oder einen Ausblick auf 2015 wagen. Alles natürlich herrlich subjektiv, völlig unzureichend und selektiv. Aber als Inspiration und Leseanreiz mag es dienen.