Während Netflix den konventionellen Fernsehsendern praktisch täglich demonstriert, wie altbacken und überholt ihr Programm ist, hat sich auch in der Musikbranche langsam die Erkenntnis durchgesetzt, dass digitale Vertriebswege nicht nur für Nerds und Produktpiraten interessant sind, sondern das neue „große Ding“. Und natürlich lässt sich damit auch trefflich Geld verdienen, was wiederum die großen Konzerne auf den Plan gebracht hat, die auch hier ihr wie üblich prächtig verziertes Stück Kuchen abgreifen wollen.
Nun hat Apple, nicht gerade bekannt für zurückhaltende Preispolitik oder ein egalitäres Verständnis von Gewinnbeteiligung, mit Apple Music schon unmittelbar nach dem Start erleben dürfen, dass die Künstler selbst vom digitalen Trend der ständigen Verfügbarkeit nicht immer so begeistert sind, wie die Kollegen im Vertrieb. Apples Plan, Künstlern für während der kostenfreien Probemonate gehörte Musik keine Tantiemen zu zahlen, scheiterte am lebhaften Widerstand Taylor Swifts, die damit drohte, den Apple-Nutzern ihr Album komplett vorzuenthalten.
Auf Taylor Swifts Drohung folgt Adeles Frontalangriff. Die britische Popsängerin hat den Streamingdiensten den Zugriff auf ihr aktuelles Album 25 komplett untersagt. Erhältlich ist das Album lediglich als CD und Download, nicht aber als Einzelabruf bei Spotify und Konsorten. Lediglich Dienste wie Pandora haben Stücke des Albums im Programm, da es sich bei ihnen aber um Radio-ähnliche Angebote handelt, unterliegen sie anderen Regularien und entziehen sich gewissermaßen auch dem Zugriff der Künstlerin und ihres Labels XL Recordings.
Was bedeutet das nun für die Branche? Zum einen zeigt sich, dass es eine Musikerin vom Format Adeles benötigt, um Swifts Drohung tatsächlich umzusetzen. Beides sind Popmusikerinnen, unterscheiden sich allerdings durchaus in Image und Zielgruppe. Es mag offen bleiben, ob Swift ihre Drohung tatsächlich umgesetzt hätte oder ob sie mit ihrem Image nicht doch zu sehr von der Fangemeinde der kalifornischen Apfelprodukte abhängig ist. Zum anderen braucht es offenbar Größen wie Swift und Adele, um überhaupt eine Erschütterung im medialen Dauerflimmern zu erzeugen. Mit großer Sicherheit gäbe es keine so erregte Diskussion, wenn eine kleine Indie-Band sich Spotify verweigern würde, weil die Tantiemen zu niedrig sind.
Adele braucht sicher nicht zu befürchten, dass sich ihr Fernbleiben vom Jederzeit-Zugriff auf ihre Popularität auswirken wird. Ganz im Gegenteil erzeugt sie durch den ausgelösten Diskurs ganz geschickt medialen Buzz, der sich sicherlich eher positiv auf die Verkaufszahlen auswirken dürfte. Ihr unternehmerisches Risiko ist also mit dem aufstrebender Musiker nicht zu vergleichen. Diese dürften sich vielmehr einer Maschinerie ausgeliefert sehen, in der ihnen die Kontrolle zunehmend genommen wird. Wer eine Generation von Jugendlichen erreichen will, die sich ein Leben ohne Smartphone und permanente Vernetzung gar nicht mehr vorstellen kann, kommt um Apple und Spotify wohl nicht mehr herum.
Dennoch, die Kritik etablierter Branchenvertreter, der sich Adele mit ihrer Entscheidung ausgesetzt sah, wirkt aus der Zeit gefallen. Der einflussreiche amerikanische Kritiker Bob Lefsetz warf Adele vor, ihre Fans in der Vergangenheit zu halten. Und auch Universal-Music-Manager Frank Briegemann wurde im Interview mit der SZ nicht müde zu betonen, dass Adele ihre Fans damit unnötig frustriere und insbesondere jüngere Hörer vom Zugriff auf ihre Musik ausschließe.
Das zeugt nicht nur von offensichtlicher Realitätsverweigerung, sondern auch einer nicht zu übersehenden Arroganz. Adeles Album 25 verkaufte sich in der ersten Woche 3,38 Millionen Mal und wurde als erstes Album überhaupt auch in der zweiten Woche mehr als eine Million Mal verkauft. Mittlerweile ist 25 das bestverkaufteste Album eines Jahres und hat den bisherigen Verkaufserfolg von 5,8 Millionen aus dem Jahr 2011 eingestellt. Übrigens gehalten von Adeles vorherigem Album 21.
Ignorant wird Briegemann, wenn er einer ganzen Generation die Fähigkeit abspricht, eine selbstständige Entscheidung zum Kauf eines Albums zu treffen. So Smartphone-versessen wir heute alle sein mögen, dass Adele jüngere Hörer von ihrer Musik ausschließen würde, weil sie nicht bei Spotify zu hören ist, ist schlicht absurd. Da 25 auch als Download erhältlich ist, muss man nicht einmal das Haus verlassen, um das Album hören zu können.
Bei allem Optimismus gegenüber der Digitalisierung sollte die Musikbranche nicht den Fehler begehen, die Bedeutung des Streamings zu überschätzen. Genau wie das Buch wird auch der physische Tonträger nicht aussterben. Zuletzt erlebte ja auch die Vinyl-Schallplatte ihre Renaissance. Gleichermaßen wird Adele die Streaming-Dienste wohl nicht erschüttern oder bahnbrechende Veränderungen in deren Geschäftsmodellen hervorrufen. Es bleibt auch abzuwarten, ob 25 nicht doch über kurz oder lang auch im Stream erhältlich sein wird, natürlich erst nachdem der Anfangshype und das Weihnachtsgeschäft ausgereizt sind. So sehr man Adeles Schritt begrüßen mag, sie bleibt nicht zuletzt auch eine sehr clevere Geschäftsfrau. Und der Erfolg gibt ihr Recht.