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Von der Schau-Lust: Navid Kermanis „Ungläubiges Staunen“

Die christliche Ikonographie, gerade jene vergangener Jahrhunderte, wirkt auf den zeitgenössischen Betrachter oft trocken, angestaubt und unzugänglich. Navid Kermani, Autor, Orientalist, Friedenspreisträger – und gläubiger Muslim – nähert sich der christlichen Bildwelt in seinen episodenhaften Betrachtungen nicht nur mit Ungläubigem Staunen, sondern mit erfrischend undogmatischer Naivität, die nie platt oder kindlich, wohl aber frei von jenen geistigen Schranken ist, die den Gläubigen oder Kunsthistoriker oft in seiner Einschätzung einschränken.

Navid Kermani: Ungläubiges Staunen

Damit umgeht Kermani geschickt die gegenüber den Kunstwerken geforderte Ehrfurcht, ohne sie aber ihrer Aura respektlos zu entledigen. Kermanis Beobachtungen sind gebildet, tiefgründig und zugleich so skeptisch wie kritisch, aber sie sind frei vom Schleier der Mystifizierung. Dabei ist es keineswegs so, dass Kermani nicht auch religiös argumentieren würde. Man merkt seiner Neugier das Staunen des Andersgläubigen an, dessen eigene Vorstellung sich im Metaphysischen nicht grundsätzlich unterscheidet, durch das islamische Bilderverbot aber doch völlig anders ausgeprägt ist. So gelingt es ihm, nicht nur Ausschnitte der christlichen Ikonographie zu entschlüsseln, sondern die Bilder gleichermaßen zum Ausgangspunkt für Exkurse in die islamische Theologie oder die Mystik der Sufis zu nutzen, die wiederum einen Einblick in islamische Glaubensvorstellungen geben.

Kermani spart keineswegs an Kritik. Die christliche Leidensfixierung und die fast schon obszöne Schaulust in der Darstellung der Passion oder der Martyrien reizen ihn wiederholt zu kritischen Überlegungen. Doch Kermani bewertet die christliche Tradition nicht, sondern versucht, sich in sie hineinzudenken und Erklärungen für den ikonographischen Widerspruch zwischen der hoffnungsvollen christlichen Botschaft und ihrer düster-blutigen Bilderwelt zu finden.

Nein, Navid Kermanis Betrachtungen über das Christentum sind kein Versuch, Islam und Christentum über die Bilder anzunähern. Dieser Versuch muss scheitern, sind doch die Gegensätze zwischen dem Bilderverbot des Islam und der freizügigen, sich bisweilen sogar über das zweite Gebot hinwegsetzenden Ikonographie des Christlichen zu groß. Dennoch leistet Kermani einen wichtigen Beitrag zumindest zum Verständnis beider Religionen. Und der Erkenntnis, dass sie trotz unterschiedlicher Auffassungen in vielen Glaubensgrundsätzen so grundverschieden nicht sind.

Navid Kermani: Ungläubiges Staunen. Über das Christentum.
München: C.H. Beck 2015
303 Seiten, gebunden
24,95 €


Montagskaffee #28

Guten Morgen.

Navid Kermani erhält den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und selten war ich mit einer Preisvergabe so einverstanden. Navid Kermani, Autor, Intellektueller, Orientalist und Muslim, versteht es, die vermeintlichen Grenzen zwischen Glaubensgemeinschaften und Atheisten, zwischen der deutschen Kultur, dem Grundgesetz und westlichen Werten einerseits und orientalischer Mystik und dem Glaubensverständnis des Islam auf der anderen Seite zu vermitteln. Diese Vielschichtigkeit zeigt sich auch in seinen brillanten Reden, sei es die Rede zum 65. Jubiläum des Grundgesetzes oder sein Auftritt auf der Anti-Kögida-Demonstration im Herbst vergangenen Jahres, wo er alle Kölnerinnen und Kölner zu Toleranz und Miteinander, aber auch zu Reflexion und Nachdenken aufrief. Ganz gleich, ob sie an Gott oder den FC, oder wie in seinem Falle „Gott und den FC“ glaubten. Auch in seiner Frankfurter Rede anlässlich der Friedenspreisverleihung wies Kermani auf die Widersprüche zwischen einer demonstrativen Willkommenskultur in Deutschland und dem internationalen Desinteresse am Morden in Syrien und dem Irak hin. Der größte Fehler der internationalen Gemeinschaft sei es, so wenig gegen den „Massenmord vor unserer europäischen Haustür“ zu unternehmen.

Gleichzeitig betonte Kermani, dass er allen entschieden widersprechen müsse, die sich mit der Argumentation, die Gewalt habe nichts mit dem Islam zu tun, billig aus der Affäre ziehen wollten. Wie schon in Köln vor einem Jahr betonte er auch in Frankfurt, dass sich der Islam selbst mit der zunehmenden Gewalt und Radikalisierung auseinandersetzen müsse. Es reiche nicht, die Gewalt als unislamisch bei Seite zu schieben. Zwar hätten die „maßgeblichen theologischen Autoritäten“ der islamischen Welt die Ansprüche des IS widerlegt und aufgezeigt, wie dessen Praktiken den Lehren des Islam widersprächen, doch würden sich in der muslimischen Welt weiterhin staatliche Autoritäten auf den Koran berufen, „wenn sie das eigene Volk unterdrücken, Frauen benachteiligen, Andersdenkende, Andersgläubige, anders Lebende verfolgen, vertreiben, massakrieren“. Der Islam befinde sich in einem Kampf mit sich selbst und sei dabei, seine eigene tolerante Tradition mehr und mehr abzuschaffen. Die Liebe zu sich selbst und damit die Liebe der Muslime zum Islam, dürfe sich nicht im Schwärmerischen äußern, sondern in der Selbstkritik. Das Schwärmerische laufe Gefahr, zu schnell in Selbstlob, Narzissmus und Selbstgefälligkeit zu verfallen. „Wer als Muslim nicht mit ihm hadert, nicht an ihm zweifelt, nicht ihn kritisch befragt, der liebt den Islam nicht.“ Eine Einstellung, die übertragbar ist auch auf unsere Gesellschaft, ihr Werteverständnis und ihre Geschichte.

Zuletzt noch Neuigkeiten aus Bamberg: Rainer Lewandowski hat nach 26 Jahren die Intendanz des Bamberger E.T.A.-Hoffmann-Theaters niedergelegt. Auf ihn folgt die zuvor in Bonn tätige Sibylle Broll-Pape, die sich gleich mit vollem Elan und großen Ambitionen in die neue Spielzeit gestürzt hat. Öffnung zum Publikum, 14 neue Stücke, darunter fünf Uraufführungen – ein stattliches Programm für ihre erste Spielzeit. Die erste Uraufführung, das Stück Rechtes Denken von Konstantin Küspert scheint zumindest schon einmal gut anzukommen und liegt mit seiner Betrachtung rechter Ideologien, Verstrickungen und Verführungen mitten im aktuellen Diskurs.


Nur der Dialog kann die Antwort sein

Denk ich an Deutschland in der Nacht,
Dann bin ich um den Schlaf gebracht,
Ich kann nicht mehr die Augen schließen,
Und meine heißen Thränen fließen. (Heine)[1]

Unter dem Eindruck der jüngsten Ereignisse auf der Welt möchte man die Augen verschließen und sich abwenden – Elend, Leid, Terror und Krieg nicht an sich heranlassen und in ein heiteres Tomatenzüchterlummerland ausweichen. Doch die beunruhigenden Ereignisse sind längst in Europa angekommen und Teil unserer Gegenwart. Die „Pegida“-Bewegung und ihre zum Teil stark von Rechtspopulisten und Rechtsextremen unterwanderten regionalen Ableger sind derzeit drauf und dran, ein historisches Erbe anzutreten, das eigentlich überwunden geglaubt wurde.

6.500 Menschen gingen am Mittwochabend in Köln gegen den lokalen Ableger „Kögida“ auf die Straße, um ein Zeichen zu setzen für Menschlichkeit, Toleranz und Brüderlichkeit. Auf der Gegenseite versammelten sich etwa 150 selbsternannte „Patrioten“, unter ihnen auch zahlreiche Anhänger der „Hogesa“, jener Hooliganbewegung, die bereits am 26. Oktober 2014 eine Straßenschlacht mit der Kölner Polizei anzettelte und die mit ihrem islamophoben Gedankengut der „Kögida“-Bewegung nahesteht.

Auch wenn „Pegida“ in Dresden ebenfalls seit Oktober 2014 auf die Straße geht, formiert sich offenbar erst jetzt, nach den Anschlägen in Frankreich vom 7. Januar, organisierter Widerstand. Am vergangenen Montag fanden bundesweit zahlreiche Gegendemonstrationen statt, zu denen insgesamt mehr als 120.000 Menschen zusammenkamen. Demgegenüber standen auf den verschiedenen Kundgebungen 33.700 Anhänger der „Pegida“.[2]

Teilnehmer der Kundgebungen am 12. und 15 Januar 2015

Teilnehmer der Kundgebungen am 12. und 15 Januar 2015. Quelle: Eigene Recherche.

In allen Städten, in denen gleichzeitige Kundgebungen stattfanden, überstieg die Zahl der Gegendemonstranten die der „Pegida“-Anhänger. In allen, außer in Dresden. Was macht Dresden zur Heimatstadt der Islamgegner, die in der Zuwanderungswelle eine Gefährdung ihrer „abendländischen Kultur“ sehen? Die schiere Masse der Flüchtlinge kann es in Sachsen wohl kaum sein.[3] Es dürfte aber zugleich auch keine Reaktivierung jener oft unterstellten Rückständigkeit des „Tals der Ahnungslosen“ sein.[4] Es darf also davon ausgegangen werden, dass sich in Dresden Demonstranten aus einem deutlich größeren Einzugsbereich versammeln, weil dort eine kritische Masse überschritten wurde. Während sich andernorts nur einige Hundert mit zahlenmäßig deutlich stärkeren Gegenveranstaltungen konfrontiert sehen, lässt es sich in Dresden im Schutze Zehntausender demonstrieren. Die Masse schafft Sicherheit und sorgt zusätzlich für gesteigerte Wahrnehmung.

Einen stärkeren Hang zum Rechtspopulismus oder gar eine latente Nähe zum Rechtsextremismus sollte man den Dresdnern daher nicht unterstellen. Dennoch muss sich das Land Sachsen und speziell die Stadt Dresden fragen, weshalb etwa die Dresdner Polizei angesichts der blutüberströmten Leiche des in Dresden getöteten Flüchtlings anfangs „keine Anhaltspunkte auf eine Fremdeinwirkung“ erkennen wollte. Eine derartig groteske Fehleinschätzung muss gerade im aktuellen Kontext besonders genau untersucht werden.

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