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Splitterfreuden: Brigitte Schwaigers „Wie kommt das Salz ins Meer“

„Beruf: Hausfrau, steht in meinem neuen Paß. Schnecke hätten sie besser geschrieben. Schnecke. Haare: gefärbt. Augen: braun. Besondere Kennzeichen: Keine, steht im Paß. Und ob. Man sieht sie nur nicht auf den ersten Blick. Besondere Kennzeichen: schlampig, ungerecht, undankbar, untüchtig, unrealistisch, unfroh, unzufrieden, faul, frech. Tisch decken, Tisch abräumen, Geschirr spülen, einkaufen, kochen, Tisch decken, Tisch abräumen, Geschirr spülen. Was koche ich zum Abendessen, dreihundertfünfundsechzigmal im Jahr die Frage: Was koche ich zum Abendessen? Sein oder Nichtsein, ob’s edler im Gemüt, was kosten jetzt die Tomaten?“ (S. 33)

Ihre Ehe ist von Anfang an zum Scheitern verurteilt, aber eine bereits geplante Hochzeit absagen? So kurz zuvor? Wo doch schon alles geplant; so schöne Einladungen gedruckt und ein teures Restaurant gebucht ist? Nein, das geht wirklich nicht. Also durchstehen. Auch die Hochzeitsreise, natürlich Italien. Gardasee, Mailand, Florenz – übliche Stationen. Von den Spannungen, den Auseinandersetzungen und Vorwürfen wird man später im Fotoalbum nichts erkennen können. Eine schöne, eine vernünftige Hochzeitsreise.

Vernünftig, anständig, gutbürgerlich. Und die ständige Erwartung an die Protagonistin, wie deren Leben in der Vorstellung von Eltern, Familie und Ehemann zu verlaufen, wie sie sich zu verhalten und zu reagieren habe. In Ihrem Roman Wie kommt das Salz ins Meer zeichnet die Österreicherin Brigitte Schwaiger ein finsteres Sittenportrait der österreichischen Gesellschaft zum Ende der 70er-Jahre. Die Erzählerin berichtet fast lakonisch von ihrer Ehe und Kindheit, von einem Leben in der Erwartung der Anderen. Natürlich bist du frei – aber bitte im Rahmen der Konvention. Andere wären froh, wenn …

Aus ihren Ambitionen ist nichts geworden, die Universität hat sie ohne Abschluss und Perspektive verlassen. Schwaiger dokumentiert, wie schon die häusliche Enge der Familie jegliche Selbstständigkeit und Andersartigkeit unterdrückt und tabuisiert. Dementsprechend beklemmend ist die geschilderte Ehe, von der Schwaiger mit der oft etwas verträumten Sprache ihrer Protagonistin erzählt, die bemerkt, dass die Wände immer näher kommen, aber niemandem begreiflich machen kann, weshalb sie in ihrer doch so guten, anständigen Ehe so tief unglücklich ist und psychisch immer weiter zerbricht.

„Ich schrumpfe zu einem bitteren Kern, der sich ausspucken möchte.“ (S. 51)

So viel Enge, Piefigkeit, Spießbürgertum und Beklemmung müssten den Roman unerträglich, nicht lesbar machen. Insbesondere im Jahr 2017, wo der Rückblick die gesamte Szenerie noch altbackener, enger und irgendwie miefig-stockfleckig erscheinen lässt. Es gelingt Schwaiger jedoch, ihrer Protagonistin bei aller Verzweiflung einen trockenen, hintergründigen Witz mitzugeben. Dieser macht das Geschilderte erträglicher, da er als Kontrapunkt zu den präzise beobachteten sprachlichen Erniedrigungen des sozialen Umfelds auftritt und zugleich durch seine Subtilität die Gesellschaftskritik noch vernichtender macht.

Als Brigitte Schwaigers Erstling 1977 erschien, wurde der Roman ein sensationeller Erfolg und traf mit seiner Kritik offenbar ins Mark. Die muffige Szenerie ließ sich seinerzeit ohne größere Anstrengung auch auf das bundesdeutsche und deutschdemokratische Alltagsleben übertragen, auch dort traf die Kritik eine graugestrickte Konvention, in der jede weibliche Freude und Selbstbestimmung von einem Mann autorisiert werden musste.

„Ich wate in zerknüllten Sätzen“ (S. 73)

Diese Aktualität hat Schwaigers Roman freilich ein stückweit verloren, weshalb Wie kommt das Salz ins Meer ohne den zeitgeschichtlichen Kontext nur noch bedingt als reine Gesellschaftskritik funktioniert. Dennoch hat die die Auseinandersetzung über den Ehebegriff und die Vorstellungen davon, was eine „gute Ehe“ zu sein hat, wie sie sich zusammenzusetzen hat und wie die Rollen innerhalb der Beziehung zu verteilen sind, heute wohl mehr Brisanz als bei Erscheinen des Romans, als Konzepte wie gleichgeschlechtliche Ehe, Patchworkfamilien oder unverheiratetes Zusammenleben für das Gros der Gesellschaft wohl schlicht undenkbar waren. Wenn also heute in konservativen Kreisen von einem zu bewahrenden klassischen Ehebegriff mit althergebrachten Rollen- und Familienbildern schwadroniert wird, kann es nicht verkehrt sein, diesen reaktionären Männerphantasien ihr eigenes Zerrbild vorzuhalten, wie es Schwaiger schon 1977 getan hat.

Brigitte Schwaiger: Wie kommt das Salz ins Meer
Innsbruck: Haymon 2013
136 Seiten, Taschenbuch
9,95€

Zitiert wurde nach der rororo-Taschenbuchausgabe von 1980.


Ottos Mops hopst online

Unter dem etwas kryptischen Link http://jandl.onb.ac.at/ ist ab sofort das Projekt „Ernst Jandl Online“ erreichbar. Auf der eingänglich und ansehnlich gestalteten Webseite, die sich als „Biblio-Biographie“ versteht, hat Vanessa Hannesschläger unter Beteiligung des Ludwig Boltzmann Instituts für Geschichte und Theorie der Biographie und des Literaturarchivs der Österreichischen Nationalbibliothek die bislang umfassendste Sammlung zum Leben und Werk des österreichischen Lyrikers versammelt. Hannesschläger meint, „Ernst Jandl Online“ präsentiere das jandelsche Gesamtwerk „dem digitalen Raum entsprechend in seine ‚Pixel‘ zersplittert“ und überlasse es dem Nutzer, diese Puzzleteile zu einem sinnvollen Bild zusammenzubauen. Jandl hätte wohl seine Freude daran.

Dabei gelingt es dem Projekt, nicht nur Bibliographie zu sein, sondern ein Netzwerk zu knüpfen zwischen Jandels Quellen und Metainformationen wie Erscheinungsorten, beteiligten Personen oder Sekundärliteratur. Zwischen den einzelnen Ebenen kann fließend gewechselt werden, Enthusiasten und Forscher werden daran gleichermaßen Freude und Nutzen finden. Eine besondere Perle sind dabei sicher die als Scans zu betrachtenden Manuskripte und Typoscripte aus Jandls Nachlass, die als „Bio-Bibliographien“ aus der Hand Jandls selbst das Projekt nicht nur um eine dritte Ebene nach Bio- und Bibliographie ergänzen, sondern auch einen spannenden Einblick in das Selbstbild des Autors bieten.

Otto: Hopp, hopp!


bluehirsch | Clara Hirschmanner

Zwischen sanfter Sprache und heiter ironischen Spielideen bewegt sich die österreichische Künstlerin Clara Hirschmanner, aka bluehirsch. Auf ein bestimmtes Image oder gar eine einzelne Kunstform lässt sich die vielseitige Linzerin allerdings nicht festlegen. Sie ist an verschiedenen Gemeinschaftsprojekten beteiligt, stickt nerdige 8-bit-Bilder in Buttongröße und entwirft performative Spiele, einer nach eigener Aussage in Österreich eher unterschätzten Kunstform.

 

Neubeginn

Völlig aufgehen in den Klängen,
die die Welt durchziehen und
ein dumpfes Rauschen in meiner
Ohrmuschel zurücklassen,
welches an die Wellen des Meeres
erinnert. Mit Seemöwen und
Tagpfauenaugen Pirouetten durch
die Landschaft ziehen. Und mir
meinen Weg durch Lebenswelten
wie eine Dampflok bahnen.

Hüpfend wie ein kleines Kind
die Pfützen zu Ozeanen erklären.
Mutig mit den Schatten an den Wänden
neue Abenteuer bestreiten und
der geheime Geschichte der
Schranktüre lauschen. Bis alles
in tiefer Geborgenheit endet,
und wir am Anfang angekommen sind.

 

In Ihren Gedichten zeichnet sie feine Gedankenbilder von Sehnsucht, Ein- und Zweisamkeit, Fernweh und Erinnerung. Mit verspielt-vertrauter Sprache, die nur auf den ersten Blick leise erscheint, wandert sie in ihren Texten durch Regennächte und Winternachmittage, um mit feinem Gespür die besonderen Momente im Alltag zu erfassen. Die vordergründig eingesetzte Melancholie läuft dabei keinesfalls Gefahr, zum Kitsch abzugleiten, sondern wirkt eher wie ein Katalysator und schafft Raum, um die Gedanken hoffnungsvoll schweifen zu lassen.

Nachzulesen sind ihre empfehlenswerten Gedichte in ihrem Lyrikblog. Mehr über ihre Person und Projekte findet sich auf bluehirsch.at.