Schlagwort-Archive: Terrorismus

Montagskaffee #22

Alaaf.

Mohamedou Ould Slahis Das Guantanamo-Tagebuch ist nun auch auf Deutsch erschienen und legt ein eindrückliches Zeugnis von den Zuständen im Militärgefängnis der USA auf Kuba ab. Wie die taz herausstellt, handelt es sich dabei aber mitnichten um ein authentisches Dokument. Das Tagebuch sollte vielmehr als ein Stück Literatur betrachtet werden, denn so zweifelhaft die Methoden der Amerikaner im rechtsfreien Raum Guantanamo sind, so unzuverlässig bleibt Slahis als Erzähler. Das Tagebuch ist für die Veröffentlichung geschrieben und dementsprechend hat Slahis dem Text eine von ihm intendierte Richtung gegeben und seinerseits entscheidende Stellen ausgelassen. Dennoch zeigen vor allem die vielen Schwärzungen durch die US-Behörden, welch hohle Farce der Freiheitsbegriff der USA mittlerweile geworden ist.

Nach den Anschlägen auf ein Kulturzentrum und eine Synagoge in Kopenhagen ringt Dänemark um Fassung. „Das hier ist kein Kampf zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen. Das ist ein Kampf zwischen der Freiheit des Einzelnen und einer dunklen Ideologie“, fasst Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt die Situation zusammen. Am Wochenende waren zwei Menschen bei den Anschlägen ermordet worden. In dem kleinen Kulturzentrum, auf das der Täter zuerst das Feuer eröffnete, fand gerade eine Diskussionsrunde zur Meinungsfreiheit statt, an der auch der Karikaturist Lars Vilks von Jyllands Posten teilnahm. Neben diesem offensichtlichen Angriff auf die freie Diskussionskultur war erneut eine jüdische Einrichtung Ziel des oder der Täter. Es sollte daher nicht nur über den Terror gegen die Meinungsfreiheit debattiert werden, sondern auch über den dem modernen Terrorismus inhärenten Antisemitismus, der mit der Gewalt nach Europa zurückkehrt. Anzumerken ist zudem, dass auch der Täter von Kopenhagen der Polizei zuvor offenbar bekannt war. Welchen Nutzen umfangreiche Vorratsdatenspeicherung und Überwachung bringen, darf damit also erneut angezweifelt werden.

Um den Rosenmontag nicht allzu schwarz beginnen zu lassen, noch ein kurioser Bericht aus Köln: Anna Heller ist mit 29 Jahren nicht nur die jüngste Brauereichefin der Stadt am Rhein, mit ihrer kreativen Art, mit deutscher Brautradition umzugehen, sorgt sie darüber hinaus immer wieder für Furore. Zuletzt provozierte sie die Kölner vor einem Jahr mit der Ankündigung, nun ein Altbier zu brauen. Während Außenstehende den Nachrichtenwert suchen, riechen Kölner fast sofort einen Skandal, ist doch Altbier der beliebte Trunk der „Rivalen“ aus Düsseldorf und Co. Geht ja gar nicht! Geht ja wohl, bewies Heller und meldete schon nach anderthalb Wochen, dass die erste Marge ausverkauft sei. Bio ist das Bier übrigens obendrein.

Was zuletzt jedoch betrübt: John Stewart verlässt seine Daily Show. Welch ein Verlust für die politische Satire, haben doch er und Stephen Colbert den Amerikanern und der Welt mit hartnäckiger Regelmäßigkeit die Widersprüchlichkeiten der amerikanischen Politik und die mittlerweile auch für unsere Medienlandschaft typische Hysterie vor Augen geführt. Während Deutschland noch etwas verkrampft versucht, seinen Stil zu kopieren, muss die USA nun einen Nachfolger finden. Vielleicht lässt sich ja John Olivers Last Week Tonight zum ideellen Nachfolgeformat ausbauen.


Montagskaffee #21

Guten Morgen.

Tilman Spreckelsen schreibt in der FAZ über die neue Herausgeberschaft der Großen Brandenburger Ausgabe der Werke Theodor Fontanes, die auf die Göttinger Germanisten Gabriele Radeke und Heinrich Detering übergegangen ist. Mit Fontanes Autobiographie Von Zwanzig bis Dreißig ist nun der erste Band der beiden Forscher herausgekommen. Auf über 500 Seiten ist Fontanes Werk in der kommentierten Ausgabe angewachsen und bleibt dank der kenntnisreichen und eloquenten Kommentare von Wolfgang Rasch, der für den Band verantwortlich ist, dennoch eine unterhaltsame Lektüre. Wie Spreckelsen schreibt, ein „ständiger, mitunter amüsanter Dialog mit dem Autor“, in dem Rasch auch die eine oder andere Inkonsistenz in Fontanes Aussagen nüchtern widerlegt. Interessant an der neuen Ausgabe ist, dass gedruckt nur die Hälfte des Apparats zu finden ist. Die andere Hälfte ist auf den Webseiten der Uni Göttingen zu finden und bietet damit auch die Gelegenheit, ständig aktualisiert und ergänzt zu werden. Ein Vorteil, auch wenn die Präsentation und Nutzbarkeit noch etwas Feinschliff nötig hat.

Indes sprach der Berliner Schriftsteller Sherko Fatah mit dem Tagesspiegel über den Sinn von Literatur angesichts von Gewalt und Leid in der Welt und der zunehmenden „Verwahrlosung demokratischer Gesellschaften“. In Anbetracht des tagesaktuellen Grauens sieht Fatah durchaus das Problem, dass Literatur irgendwann nicht mehr ausreichen könne, die Realität darzustellen und zu erklären. Schon Johnathan Littell sei mit seinem Versuch, in Die Wohlgesinnten das Grauen des Holocaust aus Sicht der Täter darzustellen, gescheitert. Die grundsätzliche Fokussierung auf die Religion hält er jedoch nicht für den richtigen Ansatz, um den islamistischen Terror und seine Anziehungskraft auch auf radikalisierte junge Westeuropäer zu erklären. Vielmehr erkennt er einen „Terror der Sitten, für den man eine spezifische Religion gar nicht bräuchte: Die Verhältnisse wären auch so repressiv, das waren sie nämlich schon vor der Islamisierung.“

70 Jahre nach dessen Tod sind nun auch die Urheberrechte von Antoine de Saint-Exupéry erloschen, was zu zahlreichen Neuauflagen seines bekanntesten Textes Der Kleine Prinz führt. Auch in Deutschland wird es drei Neuauflagen des Klassikers geben, die sich in ihrer Tonalität überraschend unterscheiden, wie Joseph Hanimann in der Süddeutschen Zeitung beschreibt. Er hebt besonders die Variante von Hans Magnus Enzensberger heraus, die im DTV erscheinen wird und sich durch ihre Sprachliche Klarheit auszeichnet. Allerdings offenbaren alle Auflagen, dass nach wie vor der sprachlichen Brillanz de Saint-Exupérys nur schwer beizukommen ist.

Ach ja. Vergangene Woche startete die 65. Berlinale, wie eigentlich überall zu lesen ist.


Nur der Dialog kann die Antwort sein

Denk ich an Deutschland in der Nacht,
Dann bin ich um den Schlaf gebracht,
Ich kann nicht mehr die Augen schließen,
Und meine heißen Thränen fließen. (Heine)[1]

Unter dem Eindruck der jüngsten Ereignisse auf der Welt möchte man die Augen verschließen und sich abwenden – Elend, Leid, Terror und Krieg nicht an sich heranlassen und in ein heiteres Tomatenzüchterlummerland ausweichen. Doch die beunruhigenden Ereignisse sind längst in Europa angekommen und Teil unserer Gegenwart. Die „Pegida“-Bewegung und ihre zum Teil stark von Rechtspopulisten und Rechtsextremen unterwanderten regionalen Ableger sind derzeit drauf und dran, ein historisches Erbe anzutreten, das eigentlich überwunden geglaubt wurde.

6.500 Menschen gingen am Mittwochabend in Köln gegen den lokalen Ableger „Kögida“ auf die Straße, um ein Zeichen zu setzen für Menschlichkeit, Toleranz und Brüderlichkeit. Auf der Gegenseite versammelten sich etwa 150 selbsternannte „Patrioten“, unter ihnen auch zahlreiche Anhänger der „Hogesa“, jener Hooliganbewegung, die bereits am 26. Oktober 2014 eine Straßenschlacht mit der Kölner Polizei anzettelte und die mit ihrem islamophoben Gedankengut der „Kögida“-Bewegung nahesteht.

Auch wenn „Pegida“ in Dresden ebenfalls seit Oktober 2014 auf die Straße geht, formiert sich offenbar erst jetzt, nach den Anschlägen in Frankreich vom 7. Januar, organisierter Widerstand. Am vergangenen Montag fanden bundesweit zahlreiche Gegendemonstrationen statt, zu denen insgesamt mehr als 120.000 Menschen zusammenkamen. Demgegenüber standen auf den verschiedenen Kundgebungen 33.700 Anhänger der „Pegida“.[2]

Teilnehmer der Kundgebungen am 12. und 15 Januar 2015

Teilnehmer der Kundgebungen am 12. und 15 Januar 2015. Quelle: Eigene Recherche.

In allen Städten, in denen gleichzeitige Kundgebungen stattfanden, überstieg die Zahl der Gegendemonstranten die der „Pegida“-Anhänger. In allen, außer in Dresden. Was macht Dresden zur Heimatstadt der Islamgegner, die in der Zuwanderungswelle eine Gefährdung ihrer „abendländischen Kultur“ sehen? Die schiere Masse der Flüchtlinge kann es in Sachsen wohl kaum sein.[3] Es dürfte aber zugleich auch keine Reaktivierung jener oft unterstellten Rückständigkeit des „Tals der Ahnungslosen“ sein.[4] Es darf also davon ausgegangen werden, dass sich in Dresden Demonstranten aus einem deutlich größeren Einzugsbereich versammeln, weil dort eine kritische Masse überschritten wurde. Während sich andernorts nur einige Hundert mit zahlenmäßig deutlich stärkeren Gegenveranstaltungen konfrontiert sehen, lässt es sich in Dresden im Schutze Zehntausender demonstrieren. Die Masse schafft Sicherheit und sorgt zusätzlich für gesteigerte Wahrnehmung.

Einen stärkeren Hang zum Rechtspopulismus oder gar eine latente Nähe zum Rechtsextremismus sollte man den Dresdnern daher nicht unterstellen. Dennoch muss sich das Land Sachsen und speziell die Stadt Dresden fragen, weshalb etwa die Dresdner Polizei angesichts der blutüberströmten Leiche des in Dresden getöteten Flüchtlings anfangs „keine Anhaltspunkte auf eine Fremdeinwirkung“ erkennen wollte. Eine derartig groteske Fehleinschätzung muss gerade im aktuellen Kontext besonders genau untersucht werden.

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Je Suis Charlie

Wenn wir nach einem solch feigen und niederträchtigen Massaker auch nur im Ansatz infrage stellen, was die Satire darf, haben die religiösen Eiferer und Fanatiker schon gewonnen.

Je suis Charlie.

Wir sind Charlie Hebdo.