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„Alles begann mit einer Vermessenheit“ – Zur 100. Ausgabe der „allmende“

Man ist sich nicht mehr so ganz sicher, wer nun eigentlich die ausschlaggebende Idee hatte. Sicher ist, dass es wohl im Jahr 1980 war, im Hause Martin Walsers, vermutlich bei Zwetschgenkuchen und nach langen Diskussionen. Entstanden ist seinerzeit die Allmende. Eine alemannische Zeitschrift, deren 100. Ausgabe jetzt erschienen ist.

An jenem Gründungstreffen beteiligt waren damals neben Martin Walser auch Hermann Bausinger, Adolf Muschg, André Weckmann und Manfred Bosch – die damit zu den Herausgebern der Allmende wurden, unterstützt von Matthias Sprenger, der lange Jahre die Redaktion der Zeitschrift übernahm. Von Anfang an hatte die Zeitschrift das hehre Ziel, eine „grenzüberschreitende Kulturzeitschrift mit einer politisch-kritischen Ausrichtung“ zu sein, erklärt der heutige Herausgeber Hansgeorg Schmidt-Bergmann. Mit diesem Anspruch war die Allmende erkennbar ein Kind ihrer Zeit, fiel die Erstausgabe im Jahr 1981 doch in eine Zeit wichtiger politischer und gesellschaftlicher Um- und Aufbrüche, insbesonder im Südwesten der Bundesrepublik.

In Karlsruhe gründeten sich die Grünen, Bürgerproteste am Oberrhein verhinderten den Bau von Atomkraftwerken in Wyhl und Brokdorf und zeitgleich konstituierte sich in Baden-Württemberg die „Initiative Schreibender Frauen“. Es erschienen die politisch aufgeladenen Gedichte abendland von Kurt Matis oder Christoph Meckels Suchbild. Über meinen Vater. Gleichzeitig erlebte auch die Mundartdichtung eine Renaissance; „das Alemannische avancierte zu einer grenzüberschreitenden Sprache gegen die Regierenden“, so Schmidt-Bergmann.

Hermann Bausinger erinnert sich in seinem Beitrag an die Gründungssitzung und die damals schwierige Titelfindung im Hause Walser. Der Selbstbezug auf das Alemannische erwies sich dabei als geschickter Schachzug, konnten über den nicht politisch definierten Raum doch grenzübergreifend Regionen in Deutschland, Frankreich, Liechtenstein, dem Voralberg und der Schweiz angesprochen werden. Sprachlich hielt man sich ebenfalls größere Räume offen, sei doch selbst das Schwäbische ein Teil des Alemannischen – „was die Schwaben allerdings nicht wissen und die Alemannen nicht wissen wollen“.

Trotz dem mit der Übernahme der Zeitschrift durch Hansgeorg Schmidt-Bergmann vor 15 Jahren auf Gesamtdeutschland erweiterterm Blickfeld hat die heutige allmende ihren Heimatbezug nie ganz verloren und stellt noch immer südwestdeutsche Autoren und deren Veröffentlichungen an zentrale Stelle. In dieser regionalen Verhaftung liegt die „Vermessenheit“ begründet, die Manfred Bosch zufolge schon am Anfang der Allmende stand. Der Vermessenheit nämlich, dass sich für ein derart regionales Projekt, eine Literaturzeitschrift für den süddeutschen, alemannischen Raum, genug Interessenten, Leser und – natürlich – Abonnenten finden würden.

Dabei versuchte die Allemende mit Erfolg von Anfang an eine positive Reaktivierung und Umdeutung des Heimatbegriffs, nachdem dieser von den Nationalsozialisten barbarisch diskreditiert und von den eskapistischen Heimatfilmen der BRD-Nachkriegszeit zum Kitsch degradiert wurde. Gerade die Anti-AKW- und Friedensbewegung der 80er-Jahre demonstrierten, wie sich die Menschen grenzübergreifend für den Erhalt ihrer Heimat einsetzten, starre politische Grenzziehungen infrage stellten und übergreifende Probleme gemeinsam diskutierten. Im gleichen Sinne setzte und setzt sich die Allmende ein für eine „kritische Heimatkunde, literarisch und essayistisch, historisch wie gegenwartsbezogen“ (Manfred Bosch)

Illustre Runde – Mehr als 900 Autoren beteiligten sich bislang an 100 Ausgaben.

Das politische Spannungsfeld zwischen RAF-Attentaten, dem Ende der sozialliberalen Koalition und dem Erstarken der Frauenbewegung blieb im Verlauf der 80er-Jahre im Aufmerksamkeitsfeld der Allmende, die sich so zusehends zu einer wichtigen Chronistin der gesellschaftspolitischen Bewegungen und Diskurse im Südwesten des deutschen Sprachraums entwickelte – und es bis heute geblieben ist. Um diese zeitgeschichtliche Relevanz der Öffentlichkeit besser zugänglich zu machen, soll das Gesamtarchiv der Zeitschrift unter allmende-online.de mittelfristig vollständig digital erfasst und veröffentlicht werden.

Die 100. Ausgabe ist also ein triftiger Grund zu feiern. Nicht zuletzt, weil die allmende deutlich beweist, dass es auch in scheinbar durchdigitalisierten und durchglobalisierten Zeiten lohnt, eine (analoge) Literaturzeitschrift herauszugeben. Martin Walser und Adolf Muschg steuern zur Jubiläumsausgabe Auszüge aus ihren gegenwärtigen Romanprojekten Gar alles oder Briefe an eine unbekannte Geliebte und Monsignore bei und läuten damit den auch in der 100. Ausgabe wieder namhaften Reigen der Autorinnen und Autoren ein. Enthalten sind unter anderem Arno Geigers Rede zur Verleihung des Alemannischen Literaturpreises 2017, die Reflektionen zur Heimat als Gefühl von Lena Gorelik sowie Essays von Wilhelm Genazino, Karl-Heinz Ott, Arnold Stadler, Sybille Lewitscharoff und Feridun Zaimoglu.


Barbara: „Wirklich schön, dass Sie da sind“

Gut ein Jahr ist es her, dass der Hamburger Verlag Gruner + Jahr versuchte, den faltenlosen Einheitsbrei der Frauenmagazine zu revolutionieren. Mittel der Wahl war damals interessanterweise aber kein weiteres Hochglanzmagazin mit austauschbarem Schickimicki-Sternchen und Beauty-Tipps, sondern die freche Schnauze einer gewissen Barbara Schöneberger. Wer Schöneberger ist, musste nicht lange erklärt werden, sie ist in Deutschland als Moderatorin, Schauspielerin, Sängerin und allgemeines Multimedialtalent ohnehin omnipräsent und nun auch hier namensgebend: „Barbara“ war geboren.

barbaraSeither konnte das annähernd monatlich erscheinende Heft durchaus reüssieren. Dank großem Auftakthype (und geschicktem Marketing, davon versteht man immerhin was am Baumwall) musste man in Hamburg nach der Startauflage nachdrucken, schreibt nach eigener Aussage mit dem Heft schon jetzt schwarze Zahlen und wirkt insgesamt durchaus zufrieden mit sich und dem Neuling. In einer eher schrumpfenden als wachsenden Branche, der hippe Medienexperten aller paar Tage einen neuen Untergang vorhersehen, durchaus ein achtenswertes Ereignis.

Zugegebenermaßen ist mir eine selbstironisch-schnutige Frau Schöneberger auf dem Titel allemal lieber als das zigste Einheitsmagermodel mit debil-leerem Gesichtsausdruck und halboffenem Mund (vgl. Kristen Stewart, Trendsetterin). Schöneberger übernimmt im Heft die Rolle als „Editor at Large“, steht also ganz wörtlich für das Große Ganze, plappert im Editorial und in Interviews und verleiht dem Heft damit nicht nur ein (ihr) Gesicht, sondern auch eine (ihre) Stimme.

Das gelingt. Das Magazin schafft die Gratwanderung, durchaus auch ernste Themen in Schönebergers bekannt-schnurrigem Plauderton zu vermitteln, ohne dabei ins allzu Gekünstelte abzusaufen. Das Heft – vorliegend die Oktoberausgabe zum gegenwärtigen Pflichtthema „Heimat“ – vermittelt heimelige Bodenständigkeit und bleibt gleichermaßen sympathisch wie glaubwürdig. Forsche Anreden hier, der eine oder andere, durchaus auch mal schlüpfrige Witz dort (man ist ja unter sich, nicht wahr?) ergibt, gemischt mit selbstironischem Hipster-Bashing (aus dem Alter ist die Zielgruppe ja nun wirklich raus) eine funktionierende Mischung. Dass Frau Schöneberger während des Interviews mit Anna Netrebko spontan ein paar Arien mitsingt, scheint da tatsächlich plausibel. Mein Höhepunkt: Die starke Portraitfotoreihe von Anna-Kristina Bauer über die zum Teil kuriosen Regionalhoheiten Deutschlands. Da mischen sich düster-schaurige Motive grimmscher Märchen mit einem Hauch Fin de Siècle und der scheinbaren Absurdität einer Meerrettichkönigin (Isabella Miller aus Mittelfranken).

„Ohne Hausordnung und Sonntagsbraten“ will „Barbara“ ansonsten sein, bringt dann aber doch die obligatorische Modestrecke (passend zum Heftschwerpunkt natürlich „Designer aus Deutschland. Logisch.“), gibt genau an, wer für Haare und Make-up auf dem Cover zuständig war und wo man das eher grelle Rüschen-Blüschen von Frau S. käuflich erwerben kann. Geschenkt. Allerdings sind es die vom Verlag als so gut laufend gepriesenen Anzeigen und die typischen „schaut mal, wie toll“-Produktvorstellungs-Seiten, auf denen „Barbara“ die rustikal-schnurpsige Bodenständigkeit dann doch nicht halten kann und die das Heft als das Lifestyle-Magazin enttarnen, dass es letztlich doch ist. Nur halt nicht für junge Hipster oder den Gentleman von Welt, sondern die „Frau im besten Alter“. (Was immer das jetzt genau ist, aber da fragt man ja besser nicht.) Das Problem daran: Die gezeigten Produkte wie der Profi-Sitzsack für schlappe 890 Euro oder eine Lego-Clutch mit Golddekor für 260 Euro sind dann doch preislich eher „Vogue“ als „Landlust“.

Insgesamt ist die Anzeigendichte etwa auf Branchenniveau, was wohl den annehmbaren Copypreis von 3,80 Euro ermöglicht. Irritierend wird es, wenn einen Frau S. dann auch von den Anzeigenseiten angrinst und, sagen wir mal, Haartönungen empfiehlt. Offenbar hat man in Hamburg die anfängliche Scheu vor Schönebergers zahlreichen Werbepartnern doch noch abgelegt. Passend zur Zielgruppe sind die Anzeigen dann meist Pflegeprodukte oder Modemarken, gerne auch mal etwas teurer, man wird ja noch träumen dürfen. (Keine Angst, dm und Edeka sind auch dabei.)

Schlussendlich ist „Barbara“ ein gelungenes, aber längst nicht so überwältigend innovativ neuartiges Frauenmagazin, wie vielleicht verlagsseitig kolportiert. Überraschungen sollte man nicht erwarten, dafür gibt es solide Unterhaltung und durchaus hochwertigeren Journalismus, der ruhig noch etwas mehr Raum einnehmen dürfte. Selbstverständlich ist das „Eine wie wir“-Image auch nur eine geschickte Inszenierung, die vor allem vom Charme Barbara Schönebergers lebt. Aber sie funktioniert und wirkt weitestgehend glaubwürdig. Und auf die andernorts üblichen, mit Society-Geläster garnierten Hungerhaken-Modestrecken kann man nun wirklich dankend verzichten.


Personalwechsel bei Neon

Es rumpelt auf dem Baumwall. Nach gerade einmal 15 Monaten hat Nicole Zepter die Chefredaktion von Neon und Nido wieder abgegeben, um sich – wie es heißt – wieder „ihren eigenen Projekten“ zu widmen. Nachfolgerin wird Ruth Fend, bislang Redaktionsleiterin bei Business Punk.

Wenn man glauben darf, was die Spatzen von den Dächern pfeifen, dann stand es schon länger nicht besonders gut um Zepter. Vielmehr habe ihr Weggang ein Personalproblem von Gruner + Jahr gelöst, habe doch intern kaum noch jemand die Berufung Zepters durch G+J-Produktchef Stefan Schäfer als personalpolitischen Rückgriff empfunden.

Man scheint also zufrieden in Hamburg. Schuldige und Nachfolgerin sind bestimmt, das Produkt ist zwar angeschlagen aber noch nicht verloren und nun wird alles besser, effizienter, kontrollierter. Ist dem so? Macht es sich der Verlag da nicht etwas zu einfach? Die anhaltende Absatzschwäche von Neon trat mitnichten erst nach dem Amtsantritt von Nicole Zepter ein. Schon vorher verlor das Lebensgefühl-Magazin der Nuller-Generation kontinuierlich Leserschaft und Käufer. Das nun allein der Unerfahrenheit und Überforderung von Zepter zuzuschreiben wäre doch etwas zu simpel.

G+J-Publisherin Wibke Dauletiar sprach dann auch von einer „schwierigen Marktsituation“, in der sich die grundsätzlich „etablierte und starke Marke“ Neon befinde. Derartige Binsenweisheiten sind aber weder aussagekräftig noch hilfreich und in der Verlagswelt dieser Tage eher Regel als Ausnahme. Zumal Zepter nicht die erste Chefredakteurin ist, die bei Neon durchgereicht wird: Die Gründer Timm Klotzek und Michael Ebert wechselten zum SZ Magazin, deren Nachfolger Vera Schröder und Patrick Bauer wehrten sich gegen den unbeliebten Zwangsumzug von München nach Hamburg und Oliver Stolle, der zumindest die Stimmung in der Redaktion stabilisierte, wurde von Stefan Schäfer ersetzt – durch Nicole Zepter.

Der hohe Durchsatz an Führungskräften macht es deutlich: Da stimmt es doch an der Substanz nicht mehr. Statt mit großem Werbehype einen „Relaunch“ zu stemmen, sollte sich der Verlag vielleicht einmal grundsätzlich fragen, wie es mit einem Magazin wie Neon weitergehen soll. Als das Heft 2003 auf den Markt kam, war es eine Sensation und sprach der – wie es die Welt so treffend formulierte – „Generation Konjunktiv“ aus der Seele: „Eigentlich sollten wir erwachsen werden“. Doch die damaligen zwanzig-irgendwas Jahre alten Leser sind heute – vielleicht nicht unbedingt erwachsen – aber doch reifer geworden und haben vermutlich kein Interesse mehr an WG- und Lebensfindungsgeschichten orientierungsloser Mittzwanziger.

Natürlich bleibt der eine oder andere der Zeitschrift seiner Studentenzeit treu. Aber lässt sich damit ein Geschäftsmodell tragen? Wohl kaum. Zu Hochzeiten hatte Neon eine Auflage von 255.000 verkauften Heften, zuletzt waren es noch 120.000. 13 Jahre reichen allemal, um eine ganze Generation weiter zu rücken, insbesondere in der schnelllebigen Medienlandschaft. Vielleicht hat sich Neon noch nicht ganz überlebt, und eventuell hat ein hochwertig produziertes Magazin auch unter mit ihren iPhones verwachsenen Hipstern seine Daseinsberechtigung. Klar ist aber, dass sich der Alltag junger Menschen drastisch geändert hat. Offenbar ist es auch bei Neon Zeit für drastische Schnitte.