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Sherlock Gently: William Ritters „Jackaby“

„Hatun sieht eine andere Welt als Sie oder ich. […] Sie hat die Stadt und ihre Bewohner bereits unzählige Male vor irgendwelchen Ungeheuern gerettet. Dass diese Kämpfe für gewöhnlich nur in ihrem Kopf stattfinden, schmälert nicht ihre Tapferkeit. Die schwersten Kämpfe ficht man stets im Kopf aus.“ (S. 117)

Abigail Rook trifft im Winter 1892 in der amerikanischen Kleinstadt New Fiddleham ein und kann stolz die drei Problemklassiker jeder Abenteuergeschichte auflisten: kein Geld, kein Job, kein Dach über dem Kopf. Nachdem sie ihre Karriere vielversprechend mit einer kurzfristigen Beschäftigung als Tellerwäscherin beginnt, stolpert sie – einige Absagen und Altherrenwitze später – in die Dienste von R. F. Jackaby. Dieser ist Spezialist für „ungeklärte Phänomene“ und eine Art Seher, der übernatürliche Wesen, Geister und Kobolde wahrnehmen kann. Meist wird er von der örtlichen Polizei aber eher fest- als ernst genommen, was auch die großzügigen Rücklagen für Kautionszahlungen erklärt.

Schon der erste gemeinsame Fall hat es in sich: Ein Serienmörder hat es auf Bürger der Stadt und deren Blut abgesehen. Jackaby ist überzeugt, dass der Täter keinesfalls menschlicher Natur sein kann und nimmt die Ermittlungen auf, in deren Verlauf Abigail Banshees, Gestaltwandlern, Geistern und einem in eine Ente verwandelten früheren Assistenten begegnen wird.

William Ritters Idee, die klassische Detektivgeschichte mit Fantasy und Geistern zu kombinieren, hat durchaus Potenzial. Jackaby als schrullig-absurder Protagonist weiß durch seine kuriosen Eigenheiten zu unterhalten. Mit seinen Sonderlichkeiten wirkt Jackaby wie eine Mischung aus Sherlock Holmes und Dirk Gently, ohne jedoch ganz an die Qualitäten seiner Vorbilder heranzureichen. Hinzu kommt, dass Jackabys merkwürdiges Verhalten oft nicht ausreichend erklärt wird, was nicht nur Abigail, sondern auch den Leser unschlüssig zurücklässt. Es entsteht der Verdacht, dass Ritter das schrullige Verhalten seines Detektivs nutzt, um Plotlöcher zu kitten oder allzu offensichtliche Deus-Ex-Machina-Momente zu verhindern. Das wirkt jedoch selbst vor dem Fantasy-Kontext etwas billig.

Leider überzeugen die restlichen Figuren des Romans nicht. Abigail scheint nur die Funktion zu haben, sich unaufhörlich über die fantastischen und übernatürlichen Absonderlichkeiten zu wundern und Jackaby bei seinen erratischen Wanderungen hinterherzulaufen. Zu den Ermittlungen trägt sie nicht wesentlich bei, ihr Charakter bleibt über den gesamten Handlungsverlauf enttäuschend blass. Ihre sich andeutende Liebelei ist dabei allenfalls augenrollwürdig. Auch bei den übrigen Figuren wird zu oft deutlich, dass sie lediglich existieren, um den Plot voranzubringen. Sie haben meist wenig bis keine Tiefe, lediglich eine Funktion für die Handlung.

Wirklich störend sind hingegen Klischees und Kalauer, insbesondere am Anfang des Romans. Natürlich ist die rothaarige Frau Irin. Natürlich simuliert Abigail einen Schwächeanfall, um den (natürlich) dumpf-bräsigen Polizisten abzulenken und (natürlich) fühlt sie sich schlecht dabei, weil vermutlich sogar der Autor selbst weiß, wie ausgenudelt dieser Topos ist. Ritter versucht an vielen Stellen, einen an Terry Pratchett erinnernden humorigen Ton anzuschlagen, vergreift sich aber immer wieder in den Saiten, sodass viele Witze konstruiert und deplatziert wirken.

Der Roman wird im Verlauf besser und nimmt nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich Fahrt auf. Es ist erkennbar, dass Ritter im Lauf des Schreibens zu seinem eigenen Stil gefunden hat. Als Leser würde man sich jedoch wünschen, dass er den Anfang des Romans noch einmal überarbeitet und geglättet hätte. So bleibt Jackaby trotz der vielversprechenden Idee leider hinter seinen Möglichkeiten zurück.

Oh, und eines möchte man Herrn Ritter immer wieder entgegenschreien: Nicht Archäologen graben nach Dinosauriern. Das waren auch 1892 schon Paläontologen.

William Ritter: Jackaby
Aus dem Englischen von Dagmar Schmitz
München: cbt 2016
320 Seiten, Taschenbuch
9,99 €