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#einwortgibt den Ausschlag – Wohlfeile Provokationen im Privatfernsehen

Manche Dinge kann man sich nicht ausdenken. Manche Dinge sind so verquer, dass ich nicht genau weiß, ob und wie man darauf angemessen reagieren kann und sollte. Manches nimmt einem sprichwörtlich die Worte oder provoziert laute, unangemessene Reaktionen, die dann wiederum zu wortgewaltigen, zerstörerischen Selbstläufern werden. Doch ich greife voraus.

Vor zwei Tagen riefen die Organisatoren des Literaturfests München zu einer Blogparade unter dem Stichwort #einwortgibt auf. „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“, heißt es dazu bei Wittgenstein und unter dieser Prämisse soll ausgelotet werden, wie Sprache dabei helfen kann, Grenzen einzureißen, Begegnungen zu fördern und somit einen Dialog zu schaffen. Aber auch die Grenzen der Sprache sollten beleuchtet werden, ihre Fallstricke vielleicht, ihr Missbrauch. Ich hatte dazu spontan Ideen, eher auf der positiveren als der dunkleren Seite dieses Spektrums. Doch dann kam ProSieben.

Eigentlich, so dachten wir, hätten wir alles gesehen. Jede Entgleisung und Provokation, jeden gezielten Angriff auf Moral, Anstand und guten Geschmack (Sind das nicht auch diese christlich-abendländischen Traditionen, die von einer überschneidenden Zielgruppe derzeit so oft im Fackelschein beschworen werden?). Alles dagewesen, zwischen Narumol und Ronald Schill im Adamskostüm, eigentlich fehlte nur noch die Real-Umsetzung von Running Man.

Denkste. Im verzweifelten Versuch, die Aufmerksamkeit der Zuschauer von ihren Smartphones abzulenken, denken sich die privaten und öffentlichen Sender immer neue Formate aus, die noch lauter, noch greller, noch tabubrechender um Quoten buhlen. Und weil es gerade so schrecklich „in“ ist, politisch unkorrekt zu sein, springt ProSieben mit der Zuverlässigkeit eines pawlowschen Reflexes auf den Zug auf. Der Hypetrain ist nie ausgebucht.

„Applaus und Raus“ soll also das neue Format sein, und es passt zur degenerierten Aufmerksamkeitsspanne des Privatfernsehens. Oliver Polak gibt den Late-Night-Host, dem reihenweise Gäste vorgeführt werden. Gerät das Gespräch ins Stocken, langweilt sich also Polak (oder fällt ihm nichts mehr ein), drückt er einen Knopf, der Gast ist raus, der Nächste bitte. Zappen innerhalb der Talkshow, irgendwie auch meta.

Aber leider von Beginn an unter üblen Vorzeichen. Einen Hooligan, der schon einmal jemanden ermordet hat könne sich Polak als Gast vorstellen. Oder einen der „Lügenpresse“-Schreier. „Normale Leute halt“, schwadronierte er gegenüber dem Tagesspiegel. Das traurigerweise einzig normale daran ist die Provokation mit Ansage. Es geht von Anfang an gar nicht um den Inhalt des Gesprächs, sondern nur um den gezielten Bruch selbstkonstruierter Tabus. Und Polak ist sich dessen durchaus bewusst. „Politische Korrektheit ist ja oft nur eine Masche, um sich mit einem Missstand nicht auseinandersetzen zu müssen“, sagt Polak und wünscht sich daher in bester „Ich bin Jude, ich darf das“-Manier Henryk M. Broder oder Adolf Hitler als Gäste. Ohne Konfrontation könne ja schließlich kein Dialog entstehen.

Stimmt, aber Polak muss sich fragen lassen, ob eine Talkshow im Spätprogramm eines Privatsenders zwischen „Circus Halligalli“ und „The Big Bang Theory“ der richtige Ort dafür ist. Oder ob die bewusste Verletzung sprachlich-gesellschaftlicher Konventionen nicht doch nur ein billiger Versuch ist, die Quoten aufzuputschen, auf dass sich die Zuschauer vor den Fernsehgeräten angesichts des kantigen Tabubruchs wohlig den Bauch kraulen können. Endlich sagt’s mal jemand.

Nein, das ist weder unterhaltsam noch dialogfördernd, das ist schäbig. Umso weniger überrascht es, dass der Sender als offiziellen Hashtag seiner Sendung für die sozialen Netzwerke die Entgleisung „#gastoderspast“ gewählt hat. Auch das eine wohlfeile Provokation, vermutlich auch, um sich ein wenig der Jugend anzubiedern, in Teilen derer sich „Spast“ hartnäckig im Wortschatz hält.

Spätestens damit hat die Sendung ihr Ziel erreicht, der Fäkalsturm liegt in der Luft, auch schlechte PR ist ja bekanntlich gute PR – und auch ich mache mich ja dessen gerade schuldig, der Ironie bin ich mir bewusst. Mit dem Überschreiten dieser sprachlichen Grenze bestätigen sich aber ganz deutlich alle zuvor zynisch geäußerten Vermutungen zur wahren Intention der Sendung und entlarven das Kalkül hinter der vermeintlichen Suche nach Dialog. weiterlesen